Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 17. September 2008 in der Bundestagsdebatte um die Einbringung des Verteidigungshaushalts

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 

Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Haushaltsdebatte im Parlament ist dazu da, die Unterschiede zwischen Regierung und Opposition und manchmal auch die Unterschiede zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung deutlich zu machen.

(Elke Hoff [FDP]: Und zwischen sich selbst und dem Koalitionspartner!)

Unverändert gilt nämlich das Struck’sche Gesetz, dass keine Vorlage den Bundestag so verlässt, wie sie von der Regierung eingebracht wurde. Manchmal war allerdings auch die Regierung klüger, wenn sie aus dem Bundestag herauskam.

Vorweg: Dieser Verteidigungsetat weist einen tüchtigen Zuwachs aus. Das ist notwendig, aber nicht selbstverständlich. Mein Dank gilt den verantwortlichen Ministern Jung und Steinbrück. Sie haben gemeinsam eine vernünftige Linie gefunden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

In der Bundeswehr hört man die Klage, dass das Geld dennoch nicht ausreicht, insbesondere nicht für alle nur denkbaren Beschaffungsprogramme. Das ist wahr, aber unvermeidlich und war nie anders. Das zwingt uns dazu, Prioritäten zu setzen. Dafür bilden die heutige sicherheitspolitische Bedrohungsanalyse und die tatsächlich stattfindenden Einsätze den Maßstab, nicht irgendeine Stückzahlkalkulation von 1997.

Wenn das Geld nicht für alles reicht, gibt es drei Möglichkeiten, damit umzugehen: erstens, mehr Geld zu besorgen; zweitens, die Strukturen der Realität anzupassen und dabei auch europäisch zu denken; drittens, zu fragen, wo immer noch Mittel verschwendet werden, von der Materialerhaltung über die Infrastruktur bis hin zu Sinnlosbeschaffungen. Das sind die Möglichkeiten, die man hat. Ich empfehle, die zweite und die dritte Möglichkeit nicht zu vernachlässigen.

Jetzt möchte ich etwas zum Thema Verschwendung sagen. Die Beschaffung von Zusatzausrüstung für vier vorhandene Airbusse der Luftwaffe, die zur militärischen Luftbetankung eingesetzt werden sollen, kostet uns 210 Millionen Euro. Diese Zusatzausrüstung sollte ab 2003 zur Verfügung stehen. Bis heute ist sie aber nicht über das Versuchsstadium hinaus. In vier oder fünf Jahren müsste allerdings der A400M, der ebenfalls über die Fähigkeit der Luftbetankung verfügt, bereitstehen.
Da fragt man sich: Brauchen wir diese Übergangslösung jetzt noch? Müssen wir dieses Geld wirklich zahlen?

Anderes Beispiel: P-3C ORION, der Seefernaufklärer der Marine. International fliegen 500 Maschinen dieses Typs. Sie werden weltweit in drei Servicezentren gewartet. Deutschland baut nun ein eigenes viertes Wartungszentrum auf, exklusiv für unsere acht Flugzeuge. Die erste Instandsetzung dauert 14 Monate. Zudem wird es
richtig teuer. Für solche Sonderwege haben wir eigentlich kein Geld übrig.

Ein dritter Fall: Die Marine wollte ursprünglich auf ein einziges Hubschraubermuster umrüsten, den sagenumwobenen MH-90. Alle diese Hubschrauber sollten auf einem Fliegerhorst stationiert werden, weil das effektiv ist. Gegenwärtig gibt es zwei Hubschraubertypen und zwei Stützpunkte. Weil nun aber immer noch kein Prototyp des MH-90 existiert, werden trotzdem schon einmal alle 43 Hubschrauber . SEA LYNX und SEA KING plus acht ORION . auf einem Platz zusammengefasst. Man baut dann eben fürs Erste Provisorien – man kann auch sagen: Investitionsruinen – und schaut, was die Zukunft bringt. Hauptsache teuer umziehen, war ja lange geplant. Herr Minister, ich meine, das sollten Sie sich noch einmal anschauen.

Das gilt auch für das Eurofighter-Programm als solches. Wir Sozialdemokraten meinen, dass die Hälfte der dritten Tranche für Deutschland ausreichend wäre. Wir hätten dann 146 hochmoderne, zweirollenfähige Kampfflugzeuge in vier statt in fünf Geschwadern. Über den Rest der dritten Tranche müsste eine Einigung mit den
Partnernationen sowie den Herstellern möglich sein. Das Zauberwort heißt Anrechnung des Exports. Wenn das für Großbritannien und Italien gehen sollte, warum dann nicht für alle, also auch für uns?

Weil die alten Preise nicht mehr auskömmlich sind, werden wir neue Verträge beschließen müssen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 

Herr Kollege Bartels, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kampeter?

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 
Gern.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 
Bitte schön, Herr Kampeter.

Steffen Kampeter (CDU/CSU): 
Danke schön, Herr Kollege.  Ich entnehme einer Agenturmeldung, dass Sie die Halbierung der Beschaffung und den möglichen Weiterverkauf der Hälfte der dritten Tranche bereits dem Handelsblatt mitgeteilt haben. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob Sie dem Hohen Hause erläutern können, welche Regelungen für die Nichtabnahme in diesem Vertrag enthalten sind, ob es gegebenenfalls Sanktionen gibt und ob Sie allen Ernstes der Auffassung sind, dass Sie für den Fall des Nichtweiterverkaufs, statt Flugzeuge zu bezahlen, Konventionalstrafe zahlen wollen.

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 

Lieber Herr Kollege Kampeter, vielen Dank für die Frage, die es uns ermöglicht, das Thema noch etwas zu vertiefen.

(Zuruf von der CDU: Und Ihre Redezeit zu verlängern!)
Genau.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So ist man unter Koalitionären!)

Ich habe Vertrauen in Regierungen, auch in die britische Regierung, die auf dem Rechtsstandpunkt steht, sie könne 72 Eurofighter aus der von ihr bestellten Gesamtmasse an ein drittes Land weiterverkaufen. Auf diesem Standpunkt steht die britische Regierung.

Ich bin gespannt, ob es Sonderlösungen geben wird, um den anderen Partnernationen – auch die Italiener haben ähnliche Vorstellungen – Reduzierungen zu ermöglichen, die wir aus unserer Sicht als Deutsche auch wahrnehmen sollten. Wir wollen gleiches Recht für alle. Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Wir denken, wir kommen heute in unserer Bundeswehr mit weniger Eurofightern aus, aber natürlich mit Eurofightern, den besten momentan verfügbaren Flugzeugen. Es wird also verhandelt werden müssen. Gleiches Recht für alle heißt, unsere Regierung mit der britischen und der italienischen Regierung gemeinsam.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 
Nun haben sich noch einmal Herr Kampeter und zusätzlich der Herr Kollege Stinner zu einer Zwischenfrage gemeldet. Ich darf Herrn Bartels fragen, ob er auch diese zulässt.

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 

Wenn Sie die Reihenfolge geregelt bekommen, dann ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 
Jetzt ist Herr Stinner an der Reihe.

Dr. Rainer Stinner (FDP): 
Herr Kollege Bartels, in der von Herrn Kollegen Kampeter angesprochenen Agenturmeldung wird für den Fall, dass die Halbierung nicht eintritt, gesagt, ansonsten . Zitat von Ihnen im morgigen Handelsblatt .gebe es von der SPD-Bundestagsfraktion keine Zustimmung, Flugzeuge der dritten Tranche abzunehmen.
Dem entnehme ich, dass es sich nicht um Ihre persönliche Meinung, sondern um eine in der Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands abgestimmte Meinung handelt. Ich frage Sie, ob das der Fall ist. Herzlichen Dank.

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 
Herr Kollege Stinner, die Verträge hat die durch CDU/CSU und FDP gebildete Regierung im Jahr 1997 abgeschlossen. Wir wollen, dass noch einmal über die Gesamtzahl der Flugzeuge und darüber verhandelt wird, was mit der dritten Tranche geschieht. Eine Exportanrechnung auf die Abnahmeverpflichtung der Länder ist eine Möglichkeit. Andere Länder wollen das. Ich denke, wir können es auch wollen.

Die Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im Frühjahr auf einer Klausurtagung ein Papier beschlossen, das damals auch veröffentlicht wurde, in dem wir genau diese Position vertreten. Da ich das heute hier in der Debatte so sage, können Sie davon ausgehen, dass wir das in den Ausschüssen entsprechend verhandeln.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 
Lassen Sie auch noch die zweite Zwischenfrage des Kollegen Kampeter zu?

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 
Gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 
Herr Kollege Kampeter, bitte schön.

Steffen Kampeter (CDU/CSU): 
Herr Kollege Bartels, Sie haben meine Frage durch Ihre Sachverhaltsdarlegung charmanterweise nicht beantwortet. Sie lautete: Können Sie dem Hohen Hause einmal darlegen, welche Konventionalstrafe bei Nichtabnahme von Flugzeugen, die Sie laut Pressemeldungen nach Indien oder in die Schweiz weiterverkaufen wollen, also für den Fall, dass Ihnen dies nicht gelingt, zumal es ja noch keine gemeinsame Koalitionsauffassung dazu gibt, vorgesehen ist?

Vor diesem Hintergrund würde ich gerne hören, welche Zahl sich bei Halbierung der Tranche ergibt. Wie soll die Dislozierung aussehen?

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 
Wir kennen ja die daran beteiligte Industrie. Ich empfehle, dass wir einmal darüber reden, ob wir beim A400M von der Industrie Konventionalstrafen fordern wollen. Mit der gleichen Industrie reden wir auch darüber, wie das Eurofighter-Programm in Zukunft gestaltet sein soll.

Es gibt vertragliche Klauseln, durch die es uns schwergemacht wird. Schwer bedeutet aber nicht unmöglich. Wir müssen jetzt über keine Zahl abstimmen. Ich glaube, wir können eine Lösung finden, die für alle Beteiligten – die Industrie und die vier Nationen – besser ist, als wenn wir das Programm einfach nur durchlaufen lassen würden. Es gibt auch Bedürfnisse der flugzeugbauenden Industrie in Europa, neue Programme auch wieder aus unserem Haushalt und den Haushalten der Partnernationen finanziert zu bekommen. Genauso gibt es das Interesse anderer Länder an Lösungen, die ich auch für uns vorschlage und mir vorstellen kann. Das wird also eine Verhandlungssache sein.

Sie haben aber recht: Darüber ist noch keine Einigkeit hergestellt. Wir werden aber darüber reden können. Deshalb sage ich, dass die Beratung über den Haushalt eine gute Gelegenheit dazu bietet.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Habt Ihr eigentlich noch einen Koalitionsausschuss? Warum müsst Ihr das hier verhandeln?)

Abschließend noch ein paar Sätze zur Wehrpflicht, über die wir an der einen oder anderen Stelle auch schon etwas gehört haben. Wir Sozialdemokraten erkennen an, dass der Verteidigungsminister absolut problembewusst ist. Die Wehrgerechtigkeit ist ein Problem, wenn fast die Hälfte eines Jahrgangs aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert wird. Wir glauben aber, dass es keine Dauerlösung sein kann, dann einfach ein paar Tausend Wehrpflichtige außerhalb der Struktur zusätzlich einzuziehen. Die notwendigen Mittel dafür sollten wir lieber in die Verbesserung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr investieren. Hier müssen wir in Zukunft mehr tun. Darüber besteht in diesem Hause große Einigkeit.

(Birgit Homburger [FDP]: Aber nicht in der SPD!)

Um die Wehrpflicht, die wir gemeinsam wollen, Herr Minister, auf Dauer verfassungsfest zu sichern, brauchen wir ein neues Wehrpflichtmodell. Die SPD hat Vorschläge dafür gemacht. Lassen Sie uns auf dieser Grundlage einen neuen Konsens finden. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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