„Weiter so“, heißt erst einmal die Devise der schleswig-holsteinischen SPD. Nach dem Katastrophen-Ergebnis bei den Wahlen am vergangenen Sonntag kamen gleich am Montag alle Gremien zusammen und gingen wieder auseinander. Am Dienstag wurde der bisherige Fraktionsvorsitzende in seinem Amt bestätigt. Am Mittwoch bekräftigte er, dass er auch Landesvorsitzender bleiben wolle. Ein ursprünglich für den 20./21. November schon einmal terminierter Parteitag soll aus den Kalendern gestrichen werden. Stattdessen schlägt Ralf Stegner vor, im ersten Halbjahr 2010 einen außerordentlichen Parteitag einzuberufen. Dort könnte er um Zustimmung für eine erneute Spitzenkandidatur 2014 werben. Denn wer will dann noch Rückschau halten? „Vorwärts“ wird vielmehr die Parole lauten, den politischen Gegner bekämpfen, Geschlossenheit demonstrieren für die Medien! Dann ist wieder alles gut. So wird es sein. Und am kommenden Freitag beginnen die Herbstferien in Schleswig-Holstein.
Alles bleibt also beim Alten. Anregungen aus den letzten sozialdemokratischen Hochburgen Kiel und Lübeck, wenigstens die Spitze breiter aufzustellen, die Ämter der Vorsitzenden von Fraktion und Partei zu trennen und nicht alle verbliebene Macht in der Landes-SPD auf eine Person zu konzentrieren, verhallen im Nichts dieser Art von Aufarbeitungsdebatte.
Natürlich gibt es das übliche Blabla, man wolle eine gründliche politische Analyse erarbeiten, müsse für Nichtwähler wieder attraktiv werden, die Organisationskraft der Partei stärken, eine Arbeitsgruppe einsetzen usw. Das ist immer richtig – egal ob man drei Prozentpunkte verliert oder dreizehn. Und symbolisch ersetzt es Konsequenzen, die von der Führung selbst gezogen werden könnten.
Der amtierende Landesvorsitzende geht davon aus, keine neue Legitimation zu brauchen, er ist ja korrekt gewählt bis 2011. In dieser Binnenwelt spielen Ereignisse wie „äußere“ Wahlniederlagen, Stimmungen in der Wählerschaft, die einem an den Infoständen der Partei begegnen konnten, oder die Konsequenzen anderswo (Berlin, Hamburg, Sachsen, Baden-Württemberg) keine Rolle. Den Mitgliedern und Delegierten, die vor der Wahl eisern die Geschlossenheit der Partei bewahrt haben, wird ihre Loyalität jetzt geradezu vorgeworfen: Alle Sozialdemokraten wollten doch immer nur Ralf Stegner – wie könne man da jetzt noch Kritik üben? Verkehrte Welt: Der Loyale ist der Dumme.
Ralf Stegner ist wahrlich nicht an allem Schuld, was zu diesem schlimmen Wahlausgang für die SPD geführt hat. Und er verdient ungeteilten Respekt für den unermüdlichen persönlichen Einsatz, mit dem er überall im Land auf seine Weise für unsere Landes-SPD geworben hat. Aber wenn er noch am Wahlabend das Ergebnis im Fernsehen schönrechnet, als habe er selbst in Schleswig-Holstein besser abgeschnitten als die SPD in ganz Deutschland, dann ist das ärgerlich und strenggenommen nicht ganz korrekt: Nach Prozenten hat die SPD gegenüber 2005 bundesweit fast genau ein Drittel, bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl sogar etwas mehr als ein Drittel ihrer Prozentanteile (von 38,7 auf 25,4 Prozent) verloren. Kein großer Unterschied im Elend, aber eben auch kein feiner Zug, sich so aus der Affäre ziehen zu wollen. Selbst manche unserer Freunde und Wähler sind genervt davon, wenn einer so tut, als sei er immer und überall selbst der Beste, und an allem, was schiefgeht, seien stets andere schuld. In Brandenburg hat die regierende SPD mit ihrem populären Spitzenkandidaten am gleichen 27. September übrigens nicht 13 Prozentpunkte verloren, sondern ein Prozent hinzugewonnen und ist stärkste Partei geblieben. Andere Verhältnisse, gewiss.
Wenn in Schleswig-Holstein der CDU-Ministerpräsident von einer Krise zur nächsten taumelt, im Wahlkampf absolut ablösungsreif auftritt, die CDU dann auch fast 9 Prozentpunkte verliert (anders als im Bund, wo das Unions-Minus bei 1,4 Prozent liegt), dann ist es schon besonders schade, wenn die SPD davon überhaupt nicht profitiert, sondern an der fallenden CDU tief vorbeistürzt. Dafür muss es Gründe geben. Diese schleswig-holsteinischen Extra-Gründe heißen nicht nur wie überall vermutet Hartz IV, Rente mit 67 oder Afghanistan, sie haben vielmehr auch mit unserer eigenen Kampagne, mit unserer Aufstellung, mit unserem politischen Stil zu tun. Das ist wohl schmerzlich, aber nicht so schwer zu sehen.
Es wäre fatal für die weitere Entwicklung der SPD in Schleswig-Holstein, wenn das offene Ansprechen dieser Punkte von den führenden Funktionären sofort wieder reflexartig abgewehrt würde als unsolidarisch und parteischädigend. Man hätte das auf einem Parteitag zu den Konsequenzen aus dem Wahldesaster ansprechen müssen. Es gibt aber dieses Jahr keinen mehr.
Der Doppelvorsitzende und Spitzenkandidat pflegte auf parteiinterne Kritik gern öffentlich zu reagieren mit der Aufforderung, wer gegen ihn sei, solle gegen ihn kandidieren. Diese Art der Ablösung von Amtsinhabern ist satzungsmäßig möglich, aber in der SPD eigentlich nicht der normale gute Stil. Einmal haben wir das erlebt, 1995, als Oskar Lafontaine den glücklosen Parteivorsitzenden Rudolf Scharping durch eine Kampfkandidatur aus dem Amt drängte. Wollen wir uns den „Putsch von Mannheim“, wie die Presse es nannte, wirklich zum Vorbild nehmen? Es gibt andere Wege nach vorn. Ralf Stegner, der, nachdem die Regierungsbeteiligung verloren ist und es keine SPD-Minister mehr gibt, allein alle Fäden in der Hand hält, ist klug genug sie zu kennen. Zum Wohl der Menschen in Schleswig-Holstein, die auf eine sich erneuernde SPD setzen, die eine Volkspartei in ihrer ganzen Breite sehen wollen, muss er seiner Verantwortung gerecht werden. „Weiter so“ wird nicht helfen.
Der Autor
Dr. Hans-Peter Bartels (48), ist seit 1998 SPD-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Kiel.