Hans Peter Bartels, SPD, ist seit 1998 direkt gewählter Abgeordneter des Bundestagswahlkreises Kiel. Als Mitglied der AG Demokratie der SPD-Bundestagsfraktion sprach er bei der von Mehr Demokratie e.V. und Friedrich-Ebert-Stiftung veranstalteten Tagung zur Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren auf Bundesebene am 21. und 22. März 2012 über Volksentscheide auf Bundesebene und soziale Exklusion.
Wann haben die Menschen in Deutschland endlich die Möglichkeit, über wichtige Fragen auf Bundesebene direkt abzustimmen?
Von mir aus kann es sofort losgehen! Wir haben auf unserem Parteitag im Dezember beschlossen, dass wir den Volksentscheid im Grundgesetz haben wollen und wie das ausgestaltet sein soll. Die Grünen sehen das ähnlich. Für eine verfassungsändernde Mehrheit brauchen wir aber auch die Stimmen der Unionsfraktion. Da sehe ich im Moment noch wenig Bewegung.
Was war der Anlass für das klare Votum Ihres Parteitages?
Unser Grundgesetz sieht prinzipiell „Abstimmungen“ vor, formuliert das aber nicht aus. In den Ländern und Kommunen gibt es Volks- bzw. Bürgerentscheide schon lange. Sie ergänzen die repräsentative Demokratie. Auf Bundesebene muss diese Lücke nun erst noch geschlossen werden. Auch die befriedende Wirkung des Volksentscheids zu „Stuttgart 21“ mag aktuell zur großen Zustimmung in der SPD beigetragen haben.
Sie verlangen nach verbindlichen Mitentscheidungsinstrumenten. Wie sollten diese ausgestaltet werden?
Immer wenn es zu einer ernsthaften Bewegung kommt, eine Sache durch direkte Abstimmung im Volk neu zu regeln, müssen dieselben oder wirkungsgleiche Maßstäbe gelten wir für die parlamentarische Gesetzgebung, das heißt: Transparenz, Öffentlichkeit, Kostenerstattung, Rechnungslegung usw. Ob man sich auf diesen Weg begibt, darf nicht vom Geld abhängen. Und ein zweites: Es sollte auch die Möglichkeit der Verhandlungslösung zwischen den legitimierten Initiatoren eines Volksentscheids und der Parlamentsmehrheit geben. Auch das entspricht dem Geist des Grundgesetzes. Drittens muss das föderale Verfassungsprinzip, etwa durch Länderquoren, gewahrt bleiben. Und viertens braucht es ein Beteiligungsquorum, das nicht prohibitiv hoch ist, aber auch nicht so niedrig, dass jede Gruppe sich ihre Gesetze selbst machen kann, so lange es die anderen nicht interessiert.
Die Ausgrenzung sozial schwacher Gruppen wird immer wieder als Argument gegen die direkte Demokratie angeführt. Grenzt nicht auch die repräsentative Demokratie oft aus, wenn man sich die Kluft zwischen Arm und Reich anschaut?
Wahlen sind üblicherweise sozial weniger selektiv als Abstimmungen, das zeigt die empirische Forschung. Aber wenn das so ist, muss man sich dessen bewusst sein und entsprechende zusätzliche Anstrengungen unternehmen. Die Abstimmungsalternative etwa muss völlig eindeutig und klar sein. Es gibt übrigens auch in einzelnen Ländern inzwischen ein neues Wahlrecht, das – leider durch Volksentscheid zustande gekommen – die soziale Selektivität bei Wahlen eher erhöht. Da muss man aufpassen!
Kann die direkte Demokratie auch integrierend wirken?
Ja. Und sie ist wie die „zweite Meinung“ in der Medizin eine zweite Möglichkeit der demokratischen verbindlichen Entscheidungsfindung. Man muss und wird nicht ständig davon Gebrauch machen, aber es ist gut zu wissen, dass das geht.
Das Interview führte Lina Brink von Mehr Demokratie