Beitrag im Wochenmagazin „Der Spiegel“ vom 21. Februar 2000
In der Abiturzeitung meines Jahrgangs standen auch solche Sachen. Was wir gelesen hatten: Deutschstunde. 1984. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Die wunderbaren Jahre. Welche Musik zu uns gehörte: Genesis. Zappa. Nina Hagen. Fleetwood Mac. Die Filme: Apocalypse Now. Alien. Holocaust. Die Kneipen: Knösel. Bazille. Erbse. Café Tango. Die Moden: lila Latzhosen. Erich Fromm. Amerika und Dänemark. Das Bier: Tuborg. So war das 1980, in Kiel.
Zehn Jahre später war alles anders. Es gab zwar immer noch Mädchen mit Zahnspangen, und Pickel auf blasser Haut sahen immer noch blöd aus, aber Kaffee hieß jetzt Cappuccino, Dauerlaufen war zum Joggen aufgestiegen, und aus tutigen Rollschuhen sollten bald trendi-ge Inline Skates werden. Man begann, Escort- und Astra-Spießer zu verachten und auf den Golf zu sparen. Die bevorzugten Aufenthaltsorte der „Generation Golf“, wie die VW-Werbung sie heute nennt, sind Fitneßstudios, Sonnenstudios und Fernsehstudios.
Der Berliner „FAZ“-Journalist Florian Illies hat eine Phänemenologie seiner Generation, der gegenwärtig 25- bis 35-Jährigen, entworfen. Das heißt, er hat seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben. Im Unterschied zu meiner Abi-Zeitung kennen die Nachgeborenen weniger Bücher und mehr Markenartikel. „Der Kauf bestimmter Kleidungsgegenstände“, schreibt Il-lies, „ist, wie früher die Lektüre eines bestimmten Schriftstellers, eine Form der Weltan-schauung geworden.“ Für viele seiner Generationsgenossen sei die Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke schwieriger als die zwischen CDU und SPD.
Dabei geben die in der Generation Golf bevorzugten Konsum-Labels – von Nutella über Joop, Boss, und Kookaï ¢is zu San Pellegrino – tatsächlich wenig her für die dringende Un-terscheidung von allen Älteren. Auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer ziehen sich gern schön an. Und selbst wir dazwischen kaufen längst beim Herrenausstatter. Nur gegen-über den Jüngsten mag die äußere Stilgrenze ihre Aufgabe erfüllen; die Teenies von heute in ihren New Yorker Straßenkampfuniformen sehen aus, wie Teenies seit dreißig Jahren aussehen, auch die GGler, als sie noch klein waren: unglaublich albern.
So viel zu den Stereotypen. Natürlich ist jede Jugend anders. Dazugehörenwollen und Si-chabgrenzenmüssen gehören zu den Universalien des Heranwachsens in Menschengesell-schaften. Deren Medien sind Fortschritt und Mode.
Doch was macht überhaupt eine gute Generation aus? Muß sie als Subjekt der Geschichte in die Bücher eingehen? Ist sie am besten als Schicksalsgemeinschaft? Oder bloß die Mutter aller Peergroups? Eine Stilfrage – immer wieder Jugendstil? Jedenfalls sind Generation und Jugend zwei Seiten einer Kreditkarte. Wenn ältere Menschen sagen: „zu meiner Zeit“ , dann meinen sie die zehn Jahre, als sie 23 waren, nicht die Zeit ihrer dritten Beförderung im Beruf oder als das zweite Kind kam.
Generation ist wie „Klasse“ oder „Schicht“ ein die Gesellschaft strukturierender Kollektivsin-gular. Ohne solche synthetischen Großbegriffe wäre alles noch viel unübersichtlicher. Eine soziale Generation existiert nicht in einem physischen Sinne, ihre Grenzen sind willkürlich, verschiebbar. Ganz, wie man es sehen will. Manche unserer verdienten Bonner-Republik-Intellektuellen mögen inzwischen das „törichte Generationengerede“ (Robert Leicht) nicht mehr hören – das ist doch alles nichts! Dennoch weist der Begriff auf einen Konflikt hin, den es wirklich gibt.
Er wird regelmäßig ausgetragen zwischen Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, Älteren und Jüngeren. Schrecklich, wenn sie sich nicht voneinander unterschieden. Unglücklich, wenn nicht die einen den anderen etwas voraus zu haben glaubten. Das Gemeinsame der Jüngeren, der skeptischen Generation, der Halbstarken, der 68er, der 78er, der Generation Golf, ist die Distanzierung von den Älteren – aufgrund eigener Erfahrungen, mit eigener Sprache, Musik, Kleidung, Literatur, Ideologie, Organisation. Selten mit all diesem Generati-onsinsignien gleichzeitig. Ein paar neue Chiffren genügen.
Aber was ist schon wirklich neu? In ihrer Entideologisierung und Entpolitisierung steht die GG der skeptischen Generation der Nachkriegszeit nahe, schreibt Illies. Die Welt verändern zu wollen, scheint ihr zu anstrengend, zu viel verlangt. „Sie sagt: Ich will so bleiben, wie ich bin. Und aus dem Hintergrund singt dazu der Chor: Du darfst.“ Illies findet es „befreiend, daß man endlich den gesamten Bestand an Werten und Worten der 68er Generation, den man immer als albern empfand, auch öffentlich albern nennen konnte.“ Heute redet man schon gar nicht mehr darüber.
Mein 80er Abiturjahrgang war noch ein bißchen so, irgendwie bewegt, sehr moralisch, aber auch hedonistisch, politisiert (mit abnehmender Intensität) und auf allen Fotos grauenhaft langhaarig. Im Uniseminar saßen dann Veteranen, die den frühen Marx gegen den späten ausspielen konnten, bei den Jusos gab es noch richtig fiese Stamokaps, und in der SPD machten sich der Oskar, die Heidi, der Björn, der Rudolf und der Gerd breit.
Wir lernten später als die geschlossen durch die Institutionen marschierende Formation vor uns, dass Dagegensein auch eine Form des Dabeiseins ist. Hätten wir nun das ganze gut gelernte kitschige Repertoire des Dauerprotests plötzlich gegen unsere neulinke Leitgenera-tion wenden sollen? Sie waren doch immer noch jugendliche Helden im Kampf gegen den ewigen Kanzler Kohl, waren unsere Leute. Dieser Generationenkonflikt fiel aus. Wir machten uns nur klammheimlich über die Wandlungen ihres Jargons und die neuen Krümmungen der Parteilinie ein wenig lustig.
Solche Distanzierung durch Ironie ist unser Erbe an die Generation Golf. Wer die Gänsefüß-chen immer mitdenkt, muss sich nie wieder empören. Die totale Toleranz der GG löst alte Sicherheiten und Codes völlig auf. Zurück bleibt das freieste Individuum, das es je gab. Frei von existenziellen Sorgen, frei von Tyrannei und der Notwendigkeit, etwas für sein Land zu tun, frei in der Wahl des Lebensstils, des Partners, des Berufs, des Wohnorts. Illies′ Genera-tion Golf – tendenziell eher westlich und akademisch – ist eine Avantgarde der Bindungs- und Verantwortungslosigkeit, passend zum Flexibilitätswahn der Gegenwart.
Deshalb mag der Autor seine Generationsgenossen auch nicht sehr. Sie leben in der Welt des IKEA-Kinderparadieses: „Ein riesiger Glaskasten, mit bunten Kugeln gefüllt, durch die man sich stundenlang durchwühlen kann, ohne dass man sich wehtut und ohne dass man irgendwo ankommt.“ Zu befürchten sei, dass die Insassen des Kugelkastens ewig infantil bleiben und dass das Älterwerden zur Katastrophe für sie werden könne. Sie sind frei in der radikalsten Bedeutung des Wortes, wie Kapitän Nemo in der Tiefsee, nicht mehr erreichbar. Illies empfiehlt dagegen Besuche beim Facharzt.
Wenn alles ironisch gebrochen ist, auch diese Brechungen täglich von Harald Schmidt ge-spiegelt werden, bleibt wenig Raum für authentische neue Witze. Die Werbesprüche wörtlich zu nehmen, die Generation zum Auto zu konstruieren, „das hat schon was“, wie die GG-Angehörigen sagen würden. Es hat freilich nicht ganz so viel, wie es auf den ersten Blick scheint: Das Buch zählt 224 Seiten. Davon sind, abzüglich Inhaltsverzeichnis, Kapiteltiteln und Register, 172 Seiten Text. Der allerdings ist durchaus Horx-mäßig amüsant.
Und witzig wird wohl auch die Buchwerbung, die, so dürfen wir hoffen, auf die relevanten Zielgruppen zugeschnitten sein wird. Aus Golffahrern „GG“-leser zu machen, das ist die Challenge. Darüber müssen wir mehr lesen, im Internet. Und auf bunten Zetteln, überall wo es VW gibt.