Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels hat das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Spatz dankbar dafür, dass er nicht das Hohelied der Erfolge der Bundesregierung gesungen hat, sondern etwas Neues in die Debatte geworfen hat, worüber wir einig sind: Wir wollen eine Parlamentarisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union, weil sie ein Motor sein kann, die Fortschritte zu erreichen, die wir bisher vermissen.
(Joachim Spatz [FDP]: So ist es!)
Auch diese Bundesregierung war nämlich nicht in der Lage, sie wirklich anzustoßen. Aber wir wollen mehr Europa in der Verteidigungs- und der Sicherheitspolitik.
Erstens. Warum brauchen wir das? – Wir leben nicht mehr in einer bipolaren Welt, sondern wir leben heute in einer multipolaren Welt. Europa soll einer der starken Pole in dieser Welt sein, nicht Deutschland, nicht Frankreich, nicht Großbritannien, nicht Italien, nicht Spanien, nicht Polen, sondern ein gemeinsames Europa, das wir politisch schon geschaffen haben. Es gibt die Europäische Union in vielen Bereichen, aber außenpolitisch ist sie noch schwach.
Zweitens. Wir erleben die neue amerikanische Sicherheitspolitik als eine Politik, die sich vielleicht nicht von Europa abkehrt, die aber Europa aus gutem Grund nicht mehr als ersten Adressaten für ihre Besorgnisse, aber auch nicht mehr für ihre Bündnisse sieht, sondern sich dem pazifischen Raum zuzuwenden scheint. Auch deshalb wird es für Europa wichtiger, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu sorgen. Wir werden uns nicht mehr darauf verlassen können, dass die Amerikaner immer in die Bresche springen oder dass sie dies gemeinsam mit der NATO tun. Wir brauchen auch die EU als einen eigenständigen sicherheitspolitischen Akteur.
Drittens. Warum brauchen wir mehr Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik? – Wir brauchen sie, weil wir alle die gleichen Probleme haben. Wir haben die gleichen, zum Teil veralteten militärischen Strukturen, die reformiert werden. Wir haben die gleichen Einsätze zu bestehen, nämlich auf dem Balkan, am Horn von Afrika, letztlich weltweit. Wir haben in allen europäischen Ländern die gleichen beschränkten Haushaltsmittel. Das heißt, eine Zusammenarbeit kann uns stärker machen. Ich sehe kein anderes Mittel, um stärker zu werden. Wir werden nicht mehr Geld ausgeben als jede einzelne Nation, sondern wir werden durch Zusammenarbeit effizienter werden müssen. Aber da hat die jetzige Bundesregierung eine Chance vertan.
Der verflossene Verteidigungsminister zu Guttenberg hat vor der Verkündung der Ergebnisse der Bundeswehrreform als Anspruch sehr richtig formuliert:
Wir müssen jetzt handeln; es ist die Stunde Europas, das Bekenntnis zur europäischen Verteidigung muss mehr sein als ein Lippenbekenntnis.
Im gleichen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung fuhr er fort:
Wie können bestehende Redundanzen abgebaut werden? Was sind militärische Kernfähigkeiten, die weiterhin rein national bereitgestellt werden sollen? Auf welche Fähigkeiten können wir in Zukunft verzichten, weil sie besser von anderen Partnern erfüllt werden können?
Gute Fragen. Die neue Struktur, das neue Reformkonzept des Nachfolgers de Maizière gibt darauf aber keine Antwort. Das ist eine rein nationale Reform. Genauso führen die Briten und die Franzosen rein nationale Reformen ihrer Streitkräfte durch. Wir müssen spätestens beim nächsten Mal – das soll keine Drohung sein – zu europäischeren Lösungen kommen.
Wir Sozialdemokraten haben als, ich glaube, erste Partei in Europa in unserem Grundsatzprogramm das Ziel einer gemeinsamen europäischen Armee formuliert.
(Joachim Spatz [FDP]: Das haben wir auch!)
– Auch im Grundsatzprogramm?
(Joachim Spatz [FDP]: Selbstverständlich!)
– Sie haben ein Grundsatzprogramm?
(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Im Koalitionsvertrag!)
Das Grundsatzprogramm der FDP ist der Koalitionsvertrag. Das lerne ich jetzt und bin erfreut darüber, dass wir einer Meinung sind.
(Lachen des Abg. Joachim Spatz [FDP])
Ich wollte eigentlich eine noch größere Autorität zitieren, die Frau Bundeskanzlerin, die sich sozialdemokratische Programmsätze immer gern zu eigen macht. Bei der Verleihung des Karlspreises an den polnischen Regierungschef Tusk in Aachen hat sie gesagt:
Und jenseits des Ökonomischen wagen wir vielleicht nach der gemeinsamen Währung weitere Schritte, zum Beispiel den zu einer gemeinsamen europäischen Armee.
Das steht bei uns im Programm, aber recht hat sie natürlich.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joachim Spatz [FDP])
Wo steht Europa heute? Was geht schon? Kollege Spatz hat es angesprochen. Wir diskutieren im Verteidigungsausschuss über ein gemeinsames europäisches Lufttransportkommando. Dies ist das erste Jahr, in dem es operativ tätig ist, und wir können sagen: Es scheint zu funktionieren. Auch die gemeinsame Lufttransportlösung SALIS – schwerer strategischer Lufttransport, stationiert in Leipzig; hier haben sich etliche NATO-Staaten zusammengeschlossen – scheint zu funktionieren. Das sollte man auf Dauer stellen. Die Lufthoheit über dem Baltikum wird durch NATO-Geschwader gesichert, weil es keinen Sinn macht, dass Staaten, die 1 Million Einwohner haben, sich eine eigene Luftwaffe anschaffen. Das kann man gemeinsam, abwechselnd erledigen. Es gibt ein paar Beispiele innerhalb der NATO, aber sie sind rar. Das ist der AWACS-Verband; in Zukunft wird vermutlich das Aufklärungssystem AGS dazugehören. Sonst haben wir eigentlich noch nichts. Wir brauchen neue, zusätzliche europäische Beispiele. Wir brauchen einen starken Kern einer strukturierten Zusammenarbeit im militärischen Bereich, auch einer technischen Zusammenarbeit.
Die Deutsch-Französische Brigade ist noch kein Beispiel dafür, wie es gehen soll. Die Tatsache, dass es sich um eine deutsch-französische Brigade handelt, ist geradezu ein Hindernis, wenn es darum geht, sie einzusetzen. Sie hat noch keine Aufgabe gefunden. In der neuen Bundeswehrstruktur, die im Übrigen von Minister de Maizière erarbeitet wurde, ist vorgesehen, dass ihre Jägerbataillone im Falle des Einsatzes deutschen Brigaden unterstellt werden. Das entspricht gerade nicht der europäischen Idee. Eigentlich müsste die Deutsch-Französische Brigade zum Beispiel als Reserve für das Kosovo dienen, sozusagen als ORF-Bataillon – hinter dem Horizont –, das bei einer Lagezuspitzung eingesetzt werden kann. Das wäre eine wirkliche Funktion. Im Kosovo haben wir erlebt, dass ein solcher Einsatz nötig werden kann. Hier könnte die Deutsch-Französische Brigade eingesetzt werden. Wir brauchen mehr Erfolgsgeschichten, die man weitererzählen kann. Die Brigade ist bisher keine solche Erfolgsgeschichte.
Warum sollten wir nicht mit Polen, Dänemark oder anderen skandinavischen Ländern gemeinsame einsatzfähige Einrichtungen schaffen? Das kann heißen, dass zu einem Bataillon eine Kompanie aus einem anderen Land hinzukommt. Oder eine Fähigkeit könnte in einem Land stationiert werden, aus dem die Soldaten nicht kommen. Das ist in Deutschland ja nicht anders: Nicht alle, die in Schleswig-Holstein stationiert sind, kommen aus Schleswig-Holstein, und nicht alle, die in Bayern stationiert sind, sind Bayern. Europa ist groß, aber nicht so groß, dass man nicht hier und dort stationiert sein könnte. Insofern ist es gut, dass ein deutsches Bataillon in Frankreich stationiert sein kann, aber es ist schlecht, dass die Franzosen ihre Stationierung in Deutschland komplett aufgegeben haben. Dieses Stationieren in unterschiedlichen Ländern ist wichtig, um eine europäische Durchmischung herbeizuführen und das Ganze mit Leben zu erfüllen, damit man gemeinsam in Einsätze gehen kann. Das ist der nächste Schritt, den wir gehen müssen.
Wir haben in unserem Antrag einige technische Anforderungen, wie Kollege Spatz sagen würde, formuliert. Ich glaube, diese Bedingungen sind nicht hinreichend, aber notwendig, um weiterzukommen.
Wir brauchen ein europäisches Weißbuch. Wir brauchen eine Fortschreibung der Solana-Strategie, der europäischen Sicherheitsstrategie, die zu ihrer Zeit gut war. Aber das war 2003; inzwischen hat sich vieles verändert Wir brauchen eine europäische Verteidigungsplanung. Wir brauchen eigentlich auch eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik. Es kann nicht sein, dass wir uns da noch Konkurrenz machen. Man müsste versuchen, sich in Europa auf die restriktiven deutschen Vorschriften zu verständigen. Dass jeder nach anderen Kriterien vorgeht, ist nicht vernünftig. Sich da Konkurrenz, einen Unterbietungswettbewerb zu leisten – wer kann noch ein bisschen mehr exportieren –, entspricht nicht dem Gedanken einer Zivilmacht Europa, die wir – ich glaube, hier sind wir uns fraktionsübergreifend einig – anstreben. In unserem Antrag steht, dass die Regierung da noch mehr tun muss. Da sind wir sicherlich einer Meinung.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD)
PDF-Dokumente
SPD-Antrag – GSVP weiterentwickeln und mitgestalten – 19.10.2011 – Drs 17-7360