Rede von Hans-Peter Bartels im Deutschen Bundestag am 24. März 2011 anläßlich der zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 - Wehr-RÄndG 2011)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist dies ein Thema, bei dem hier im Bundestag sicherheitspolitische Gemeinsamkeiten sichtbar werden können. Alle Fraktionen sind der Auffassung, dass die bisherige Ausgestaltung der Wehrpflicht nicht mehr haltbar ist. Wenn fast die Hälfte eines Jahrgangs als untauglich ausgemustert wird, damit das Verfassungsgebot der Wehrgerechtigkeit nicht zu eklatant verletzt wird, dann ist das nicht mehr haltbar und muss geändert werden. Wenn aus einem Jahrgang von 400 000 jungen Männern nur noch 50 000 im Jahr zu einem praktikumsartigen Grundwehrdienst eingezogen werden, dann ist es mit der allgemeinen Pflicht zum Dienen nicht mehr weit her.

Deshalb haben wir Sozialdemokraten bereits in der letzten Wahlperiode den Übergang zu einem freiwilligen Wehrdienst vorgeschlagen. Dass Sie von der Regierungskoalition nun auf diese Idee eingehen, begrüßen wir ausdrücklich. Unser Konzept orientiert sich an den positiven Erfahrungen mit den FWDL, den 25 000 freiwillig länger Wehrdienstleistenden in der Bundeswehr. Auch hier sehe ich einen gemeinsamen Ansatz von Regierung und SPD.

Um Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nun aber nicht durch zu viele Gemeinsamkeiten zu irritieren, will ich einiges zu Ihrem Umgang mit dem Thema Wehrpflicht in den vergangenen Monaten sagen: Dass Ihr damaliger Verteidigungsminister erst theatralisch beteuern musste, mit ihm sei die Abschaffung der Wehrpflicht nicht zu machen, um dann Monate später genau dies in die Wege zu leiten, entbehrt nicht gerade einer gewissen persönlichen Konsequenz. Das haben wir bei ihm öfter erlebt; sei es drum. Aber die Verkürzung der Grundwehrdienstzeit von neun auf sechs Monate, wie es Ihr Kompromiss im Koalitionsvertrag vorsah, war nun wirklich eine Veralberung Ihres eigenen sicherheitspolitischen Sachverstandes und eine Veralberung der Bundeswehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])

W6, das nützt und nutzte niemandem: den Wehrpflichtigen nicht, der Truppe nicht, nicht einmal der Koalition.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Bartels, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Aber gern.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Im Sinne der Vernunft! – Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Hat er wieder kein Rederecht?)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Verehrter Herr Kollege, da Sie die Haltung der Union angesprochen haben, möchte ich fragen: Wie war es in Ihrer Partei? Sie waren schließlich in einer Koalition mit den Grünen. Ich erinnere daran, dass die Grünen, ähnlich wie die FDP, für die Aussetzung der Wehrpflicht waren.

(Kai Gehring [BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN]: Richtig!)

Die Grünen konnten es nicht durchsetzen. Wir haben es in dieser Koalition durchgesetzt. Wie war da die Haltung der Sozialdemokraten? Erinnere ich mich richtig, dass Ihre Verteidigungsminister gesagt haben: Mit uns ist das nicht zu machen?

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Genau. Deshalb sind wir dabei geblieben.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist aber sehr konsequent! – Zuruf von der SPD: Qualität setzt sich eben durch!)

– Ja, das hätte eine Frage an die Grünen sein können. Wir hatten kein Problem damit, dass wir als Befürworter der Wehrpflicht in der Koalition mit den Grünen bei der Wehrpflicht geblieben sind. In der letzten Wahlperiode hätte es die Möglichkeit gegeben, mit der Union zu etwas Neuem zu kommen. Das ist offenbar nur unter Ihrem Einfluss möglich gewesen.

(Lachen bei der FDP – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Mit den Grünen nicht, aber mit der Union! Das soll mal einer verstehen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt werfen Sie der Union einen Zickzackkurs vor! Das ist abenteuerlich!)

W6 war ein Kompromiss, der eigentlich eine Winwin-Situation hätte werden sollen. Wenn man Kompromisse eingeht, sollten eigentlich beide Seiten gewinnen. In diesem Fall haben beide verloren.

Wir Sozialdemokraten werden Ihrem Wehrrechtsänderungsgesetz heute nicht zustimmen, weil die Rahmenbedingungen noch völlig unklar sind.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was?)

Wir kennen die Struktur der künftigen Bundeswehr nicht. Was sollen die Freiwilligen dort tun? Wir kennen das notwendige Programm zur Steigerung der Attraktivität nicht. Das wird Geld kosten. Wird der Freiwilligendienst daran scheitern? Wir wissen nicht, wie Sie künftig für diesen und für die anderen Freiwilligendienste werben wollen. Wollen Sie das überhaupt? Von nichts kommt nichts. Schauen Sie sich einmal Ihre ersten Freiwilligenzahlen an. Das ist niederschmetternd. Der Minister sprach heute von einer Evaluation, mithilfe derer nach dem ersten Jahr geschaut werden soll, ob das alles überhaupt funktioniert. Im Hinblick darauf stelle ich fest: Ihr Wehrrechtsänderungsgesetz ist ein weiteres Experiment mit der Wehrpflicht mit dem Ziel der Abschaffung. Ich bin etwas unsicher, ob das mit den Koalitionsfraktionen so vereinbart war. Wir haben das bisher an keiner Stelle so gehört.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist doch Kraut und Rüben! – Elke Hoff [FDP]: Unfug!)

Ein Wehrrechtsänderungsgesetz für ein Jahr: herzlichen Glückwunsch!

Was uns als Opposition heute am meisten irritiert hat, ist der völlig wurschtige Umgang der Regierung mit geltenden Gesetzen. Ich hoffe, wir sind uns hier im Parlament einig, dass die Wehrpflicht noch gilt. Etwas Neues gilt erst dann, wenn wir hier im Deutschen Bundestag ein neues Gesetz beschlossen haben; darüber reden wir gerade. Aber Ihr fabelhafter Minister a. D. hat die Reform einfach vorgezogen – ganz ohne gesetzliche Grundlage.

Ich lese Ihnen vor, was die Kreiswehrersatzämter in den ersten Tagen dieses Jahres 160 000 wehrpflichtigen jungen Männern per Brief mitgeteilt haben:

Die Bundesregierung hat beschlossen, ab dem 1. Juli 2011 die Einberufung zum Grundwehrdienst auszusetzen.

Und weiter:

Im Vorgriff auf die geplante gesetzliche Regelung besteht (…) die Möglichkeit, ab dem 1. März 2011

– das war schon –

freiwilligen Wehrdienst zu leisten.

Ich frage Sie, Herr Minister de Maizière: Wozu beraten wir hier eigentlich noch einen Gesetzentwurf, wenn die Regierung der Auffassung ist, es gehe auch ohne?

(Christoph Schnurr [FDP]: Weil wir das Parlament sind!)

Wieso machen Sie als Koalitionsfraktionen sich noch die Mühe, Änderungsanträge zum Gesetzentwurf der Regierung einzubringen? Die Regierung bewegt sich bei ihrem Umgang mit dem Parlament hart am Rande der Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

Das erleben wir bei der Wehrpflicht und genauso bei der Rücknahme der von Ihnen durchgesetzten gesetzlichen Regelungen zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Es erfolgt einfach eine Rücknahme per Pressekonferenz.

Sie sollten ernsthaft zur verfassungsmäßigen Praxis zurückkehren. Gesetze verpflichten die Exekutive. Gesetze ernst zu nehmen, ist keine freiwillige Leistung der Regierung, sondern ihre Pflicht – auch beim Übergang zum freiwilligen Wehrdienst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

Ihre Reform des Wehrrechts findet nicht isoliert statt, sondern sie ist Teil einer weiteren Verkleinerung der Bundeswehr, um Geld zu sparen. Das Prinzip, auch beim Militär sparsam zu haushalten, gehört wohl zu den Gemeinsamkeiten hier im Parlament.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich?)

Es waren christdemokratische und sozialdemokratische Verteidigungsminister, die unsere Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges umgebaut und ihren Umfang von über 600 000 Soldaten bei der Vereinigung auf heute 250 000 reduziert haben. Seit vielen Jahren ist die Bundeswehr eine Armee im Einsatz. Sie hat sich bewährt, und sie bewährt sich heute – auch in schwierigen Missionen.

Gerade in der heutigen Lage sollten wir mit beliebig anmutenden Sparvorgaben aber vorsichtig sein. Wir wissen nicht, was die nächsten Jahre bringen. Wer hätte vor drei Monaten mit dieser Freiheitsbewegung in der arabischen Welt gerechnet? Wer war 2001 auf den 11. September vorbereitet? Wie lange im Voraus wussten wir, wann der Kalte Krieg zu Ende geht? Was zeigen die aktuellen Katastrophen in Japan mit Blick auf unsere Fähigkeit, schnell große Personalkörper für den Katastrophenschutz zu mobilisieren?

Ich will nicht Kassandra spielen,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, Sie sind auch keine Frau!)

aber, Herr Minister de Maizière, lassen Sie uns vorsichtig dabei sein, Fähigkeiten allzu leichtfertig aus der Hand zu geben. Es kann einen raschen politischen Wandel geben – zum Guten und zum weniger Guten. Wir sollten deshalb nicht allzu schnell in die Lage kommen, sagen zu müssen: Die Bundeswehr kann das nicht mehr. Herr Schockenhoff hat in dieser Woche die Libyen-Politik des Außenministers damit begründet. Das ist nicht gut, und das stimmt in der gegenwärtigen Lage übrigens auch nicht. Deshalb wäre es besser, wenn wir uns einig wären, dass es keine Bundeswehrreform nach Kassenlage geben darf.

Der ausgeplante Umfang von 185 000 Soldaten muss jetzt stehen. Zerschlagen Sie nicht diese Minimalstruktur!

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Es muss struktursicher sein, dass 15 000 Soldaten freiwillige Wehrdienstleistende sind; das darf keine variable Größe sein, die in den Haushaltslöchern der Zukunft verschwindet.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns bitte so viel Gemeinsamkeit herstellen, dass nicht jede neue Regierung eine neue Bundeswehrreform anfangen muss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie kommen so schnell nicht in Versuchung!)

 

PDF-Dokumente

BT-Plenarprotokoll 24.03.2011 – komplett

BT-Plenarprotokoll 24.03.2011 – Auszug Rede Bartels