Die Marine wird vernachlässigt, sagt SPD-Verteidigungsexperte Bartels. Die Bundeswehrreform dürfe nicht dazu führen, dass Soldaten nur auf Afghanistan vorbereitet würden.
ZEIT ONLINE: Thomas de Maizière hat das Verteidigungsministerium in einer Zeit übernommen, in der die Armee drastisch umgebaut wird. Sein Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg sprach von der größten Reform in der Geschichte der Bundeswehr. Wie geht es mit dem Mammutprojekt nun weiter?
Hans-Peter Bartels: Von diesem selbstbelobigenden Superlativ halte ich wenig. Die größte Reform unserer Streitkräfte war die Integration der Nationalen Volksarmee der DDR in die Bundeswehr nach der Wiedervereinigung. Seitdem ist die Truppe von 660.000 Soldaten auf 250.000 reduziert worden, nun geht es um eine weitere Verkleinerung um ein Viertel. Das ist nicht unerheblich, aber die größte Umstrukturierung hat längst stattgefunden.
ZEIT ONLINE: Afghanistan sei keine „Blaupause“ für den Umbau der Truppe, beteuerten der ehemalige Minister und sein Generalinspekteur unisono. Dennoch erfolgt eine Konzentration auf die Interventionsfähigkeit. Wie bewerten Sie das?
Bartels: Für die SPD ist wichtig, dass die Bundeswehr die beiden Verfassungsaufträge erfüllen kann: Einerseits die Landes- und Bündnisverteidigung, die nicht mehr an unseren Grenzen stattfindet, sondern an den Außengrenzen des Bündnisses, wo die Sicherheitslage gelegentlich weniger angenehm ist als heute bei uns. Da müssen wir zur Solidarität beitragen, so wie früher im Kalten Krieg andere bereit waren, uns zu schützen. Die zweite große Aufgabe ist die Teilnahme an internationalen Missionen unter dem Dach der Vereinten Nationen. Einer dieser beiden Kernaufgaben wegzunehmen, wäre fatal. Die sicherheitspolitische Lage ändert sich manchmal rasant, das haben wir 1990 erlebt, 2001 und, was Nordafrika angeht, jetzt gerade wieder.
ZEIT ONLINE: Innerhalb der Nato scheint das Interesse an weiteren Missionen wie in Afghanistan sehr gering zu sein. Geht Deutschland einen verteidigungspolitischen Sonderweg, seine Streitkräfte nun gerade auf solche Einsätze aufzustellen?
Bartels: Es besteht die Gefahr, dass die Bundeswehr auf den Einsatz von gestern optimiert wird. Wir hoffen, dass Afghanistan in naher Zukunft halbwegs erfolgreich beendet werden kann.
ZEIT ONLINE: Nach Libyen wurde eine deutsche Hilfsflottille aus drei Schiffen geschickt. Die USA hingegen haben einen Trägerverband in Stellung gebracht. Die deutsche Marine schrumpft immer weiter. Sind maritime Fähigkeiten künftig weniger gefragt?
Bartels: Nein, die weitere Schrumpfung der Marine macht mir Sorgen. Wir bewegen uns da auf die Größenordnung Hollands zu, was für ein Land der Bedeutung und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands nicht angemessen ist.
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ZEIT ONLINE: Seit 2006, dem Veröffentlichungsjahr des Weißbuchs zur Sicherheitspolitik, hat sich die Bedrohungslage für Deutschland nicht verändert. Gibt es eine sicherheitspolitische Begründung für die Bundeswehrreform?
Bartels: Die Reform wurde ausdrücklich mit finanzpolitischer Begründung auf den Weg gebracht. Wir bekommen eine Bundeswehr nach Kassenlage. Der sicherheitspolitische Anspruch an die Bundeswehr wurde bisher nicht reduziert. Deutschland muss weiterhin in der Lage zu sein, im Rahmen seiner Bündnisse international zur Sicherheit beizutragen. Diese fortgesetzte Verzwergung der Bundeswehr kann Deutschland nicht vertragen.
ZEIT ONLINE: Die Zahl 185.000 Soldaten wirkt willkürlich bestimmt. Warum reichen nicht weniger Bundeswehrangehörige aus?
Bartels: In Japan sieht man gerade, wie wichtig die Masse an Helfern für den Katastrophenschutz ist, die nur das Militär stellen kann. Die japanische Armee ist nach dem Erdbeben und dem Tsunami mit einer sechsstelligen Soldatenzahl im Hilfseinsatz. Ich meine, die 185.000 müssen nun wirklich die feste Untergrenze des Umfangs der künftigen Buindeswehr sein. Eine nach unter offene Streitkräftestruktur wäre unverantwortlich.
ZEIT ONLINE: Es gehöre sich, ein bestelltes Haus zu hinterlassen, sagte der scheidende Verteidigungsminister zum Abschied. Von außen sieht das Guttenbergsche Gebäude bisweilen eher nach einem schlecht saniertem Altbau aus.
Bartels: Er hinterlässt gleich mehrere Baustellen. Das erste Problem des neuen Ministers wird sein, mit konkurrierenden Kabinettsentschlüssen umzugehen. Er soll acht Milliarden Euro sparen und gleichzeitig 185.000 Soldaten finanzieren, ohne Wehrpflicht, nur Freiwillige. Selbst Guttenberg hatte am Ende erkannt, dass er für diese neue Bundeswehr mehr Finanzmittel benötigt. Die Aussetzung der Wehrpflicht spart nichts. Es wird stattdessen zusätzliches Geld für attraktivitätssteigernde Maßnahmen gebraucht, um Freiwillige zu gewinnen.
ZEIT ONLINE: Der Neue will sich die nötige Zeit nehmen, um alles auf den Prüfstand zu stellen. Wie viel Zeit hat de Maizière?
Bartels: Es ist vernünftig, dass er sich einen eigenen Zeitplan zurecht legt. Guttenberg hatte keinen, bei ihm regierte das Drunter und Drüber. De Maizière will bis zur Sommerpause die wesentlichen Strukturentscheidungen treffen, im Herbst sollen dann die Stationierungsentscheidungen fallen. Das klingt vernünftig.
ZEIT ONLINE: Das Ende der Wehrpflicht ist entschieden und nicht mehr umkehrbar. Doch die Bundeswehr hat große Probleme, die Freiwilligen zu gewinnen, die sie braucht. Was läuft falsch?
Bartels: Die letzten Wehrpflichtigen sind einberufen, weitere junge Männer werden nicht mehr gezogen. Da lässt sich nichts mehr strecken. Damit muss die Bundeswehr nun leben – auch damit, dass sie den Freiwilligen Wehrdienst ohne Konzept einführt. Das Modell ist gleichwohl richtig. Dafür muss ein Attraktivitätsprogramm nun schnell auf den Weg gebracht werden – auch wenn das Geld kostet.
ZEIT ONLINE: Der Bundeswehrverband spricht von einer Milliarde Euro, welche die Attraktivitätssteigerung kosten werde. Halten Sie diese Zahl für realistisch?
Bartels: Das ist absolut realistisch. Denn es geht ja nicht nur um die Rekrutierung zum „Freiwilligen Wehrdienst“. Auch die Zeitsoldaten wurden bislang überwiegend unter den Wehrpflichtigen rekrutiert. Die kommen nun aber nicht mehr einfach so.
ZEIT ONLINE: In der Bild und auf Pro7 schaltet das Verteidigungsministerium Anzeigen und Werbung, um Freiwillige anzulocken. Welchen Typen sucht die Truppe eigentlich?
Bartels: Bemerkenswert ist schon, in welche Richtung die Werbemittel konzentriert werden. Offiziell bestätigt das Ministerium, dass diese Boulevardkampagne an Bewerber „mit und ohne Hauptschulabschluss“ richtet. Wer für 18 Monate zur Bundeswehr geht, kann aber nicht mehr im großen Stil nachgeschult werden. Eine angemessene Grundbildung muss vorhanden sein, dazu gehört zum Beispiel Englisch. Die Kriterien nun herunter zu schrauben, wäre ein schwerer politischer Fehler.
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ZEIT ONLINE: Welche Maßnahmen sind denn denkbar, um die richtigen Bewerber zu bekommen?
Bartels: Die Bundeswehr muss ein interessanter Arbeitgeber und gegebenenfalls eine lohnende Zwischenstation im Leben sein. Die Truppe könnte mit der Anrechnung von Wartesemestern für das Studium werben, mit kostenlosem Studium an den Bundeswehruniversitäten, mit dem Erwerb von Zusatzqualifikationen wie Führerscheinen. Man kann schon einiges bieten.
ZEIT ONLINE: Ein weiteres Problem, das Guttenberg seinem Nachfolger überlässt, ist die Gorch-Fock-Affäre. Diese sei keine Affäre, stellt die Marine in einem Bericht fest und entlastet sich selbst. Was sagen Sie zu der Aufarbeitung?
Bartels: Es ist gut, dass es nun einen Bericht gibt und nicht mehr nur Einzelmeldungen aus dem Bild-Universum. Der Bericht kommt zu einigen Schlussfolgerungen, die ich teile. Die Dienstaufsicht und die Ausbildung an Bord müssen verbessert werden. Er ist in Teilen aber bemerkenswert unsensibel formuliert. Eine gewisser Hang zur Rechthaberei ist da nicht wirklich angemessen. Aber es wäre schon gut, wenn wir bald zu einem Schlusspunkt kommen.
ZEIT ONLINE: Die Gorch Fock hat Kiel als Heimathafen – die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt ist Ihr Bundestagswahlkreis. Sie sind daher nicht ganz neutral, aber braucht die Marine die Gorch Fock noch im 21. Jahrhundert?
Bartels: Die Gorch Fock kann mit den nötigen Verbesserungen weiter als Segelschulschiff auf Fahrt gehen. Sie bleibt ein wichtiges Symbol für die Marine – und auch für Deutschland.
Interview: Hauke Friederichs