Gastbeitrag von Hans-Peter Bartels für die Neue Züricher Zeitung vom 31. Oktober 2012

Es hätte die grösste Rüstungsfirma der Welt werden sollen: EADS und BAE hätten mit zusammen 50 Milliarden Dollar Umsatz im Bereich Wehrtechnik im Jahr weit vor den amerikanischen Champions Lockheed Martin (36 Milliarden Dollar), Boeing (31), Northrop Grumman (28), General Dynamics (24) und Raytheon (23) gelegen – ein europäischer Weltmarktführer. Und auch gegenüber dem Boeing-Gesamtkonzern mit seinem zivilen Flugzeuggeschäft wäre die erweiterte Airbus-Mutter EADS/BAE klar die Nummer 1 gewesen. Doch nach dem selbstverschuldeten Scheitern der Fusion geht es nun nicht einfach wieder zurück auf Start, stattdessen gilt: Nichts ist mehr, wie es vorher war – für alle europäischen Wettbewerber.

Branche im Niedergang

Schon seit den neunziger Jahren versuchen die grösseren EU-Staaten das nationale Militärgeschäft zu straffen, zu bündeln und zu europäisieren. EADS selbst mit seiner Rüstungssparte, die heute Cassidian heisst, ist so ein politisches Fusionsprodukt zwischen Deutschland, Frankreich und Spanien. Denn dem Ende des Kalten Krieges folgte in Europa eine Periode der Abrüstung. Die Bundeswehr schrumpfte von 495 000 Soldaten 1989 auf jetzt noch 180 000. Entsprechend werden die Budgets zusammengestrichen. Der Beschaffungsprozess verlangsamte sich, die Stückzahlen schmolzen wie Eis in der Sonne der neuen Einheit des Kontinents. Mit dem Eurofighter und dem Helikopter NH 90 werden verspätet teure Systeme ausgeliefert, deren Geburtsstunde noch weit vor der Zeitenwende lag. Neuprojekte sind rar.

Die Landesverteidigung gilt heute zu Recht als ein bisschen weniger existenziell, als dies zu Zeiten der waffenstarrenden Blockkonfrontation der Fall war. Deshalb sieht sich die europäische Wehrtechnik seit Jahren als eine Branche im Niedergang: weniger Umsatz auf den Heimatmärkten, weniger Arbeitsplätze, wenig Perspektive – es sei denn im Export. Die Perspektive der Konzentration und Zentralisation im nationalen und im europäischen Massstab wurde dagegen von vielen Betroffenen als Zumutung und Einmischung empfunden, so dass in dieser Hinsicht weniger passiert ist, als möglich gewesen wäre und politisch gewollt war.

Weil die Anbieterseite noch immer so kleinteilig und vielfältig ist, gibt es in den EU-Mitgliedsstaaten gegenwärtig mehr als zwanzig nationale Programme für gepanzerte Fahrzeuge, fünf für Flugabwehrraketen, acht für Fregatten und dreieinhalb für moderne Kampfflugzeuge. Der Versuch, etwa in Deutschland mit Nachhilfe der Regierung nationale Champions als Vorstufe einer europäischen Konsolidierung zu formen, misslang sowohl bei der Heeresindustrie wie im Schiffbau. Allenfalls kommt es zu Arbeitsgemeinschaften, die als Hauptauftragnehmer alle infrage kommenden konkurrierenden Unternehmen vereinen. Das dritte grosse Versorgungsschiff der Deutschen Marine bauen zum Beispiel vier Werften gemeinsam. Und den neuen Puma-Schützenpanzer des Heeres verantworten mit Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall zwei Wettbewerber, die schon längst hätten zusammenfinden sollen.

Das Konstrukt unabdingbarer nationaler „Kernfähigkeiten“, die in einen europäischen Fusionsprozess einzubringen wären, scheiterte an der überraschenden Erkenntnis, dass eigentlich alles, dessen die deutsche Industrie in exzellenter Weise fähig ist, zum „Kern“ gehört und damit als unabdingbar gilt. Und so ähnlich sehen die Franzosen ihre eigene Rüstungsindustrie auch.

Unverschämte Drohung

Im europäischen Konkurrenzkampf hätte eine Fusion der beiden grössten Player, EADS und BAE, alle kleineren Champions unter Zugzwang gesetzt. Die Anziehungskraft der Superfirma hätte nach den Gesetzen der politökonomischen Gravitationslehre noch grössere Haushaltsmittel aus den Verteidigungsbudgets Grossbritanniens, Frankreichs und Deutschlands an einen einzigen Komplettanbieter gebunden. Die Erpressbarkeit durch diesen einen stets bei Laune zu haltenden Weltmarktführer wäre zum Dauerthema geworden, nicht nur für die Restkonkurrenz, auch für die Politik. Welches Rüstungsexportgeschäft hätte sich dieses quasisouveräne Unternehmen noch untersagen lassen? Mit dem Fusionsfiasko ist allerdings auch die Chance für EADS vertan, auf dem amerikanischen Markt stärker Fuss zu fassen, der 50 Prozent allen Rüstungsgeschäfts weltweit absorbiert. Die EADS-Spitze vertrat die Auffassung, der Staat solle sich aus der Regelung von Besitzverhältnissen, der deutsch-französischen Balance im Unternehmen und letztlich auch aus dem Auslandsgeschäft heraushalten, aber zugleich fleissig Aufträge erteilen, Wettbewerbsverstösse der amerikanischen Konkurrenz verfolgen und Exportkampagnen aktiv begleiten. Diese schizophrene Beziehung zur Politik führte jetzt zum Debakel. Frankreich, Deutschland und Grossbritannien, die drei grossen Nationen hinter EADS und BAE, hätten mit im Boot sein müssen; und wenn sie nicht einander völlig vertrauen wollten, so hätten sie doch dem Management des neuen Giganten Vertrauen entgegenbringen müssen. Das war erkennbar nicht der Fall.

Zudem wird die unverschämte Drohung des EADS-Managements, man müsse am Wehrtechnik-Geschäft ja nicht unbedingt festhalten, jetzt zum Bumerang. Alle Welt erwartet nach dem Fusions-Aus, dass Teile des Rüstungsportfolios von EADS nun zur Disposition stehen. Aus Stärke wird Schwäche. In dieser Situation sind viele kleinere, namhafte europäische Firmen der Branche aufgewacht und sind endlich bereit, die Zentralisation und Konzentration der Kräfte nachzuholen, die bisher unterblieb. Denn sonst würden sie leicht zu Übernahmekandidaten für die amerikanischen Konzerne, die angesichts der Etatkürzungen in den USA weltweit nach neuen Möglichkeiten suchen.