Schaut über den Ozean!
Die Konfliktregion Ostasien rüstet gefährlich auf
Hans-Peter Bartels
Spannungen überall. Die hoffnungsfrohe Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges, das Vierteljahrhundert post-cold-war-Ära, ist vorbei. In Europa reden wir wieder mehr von konventioneller Abschreckung und der Fähigkeit zur Bündnisverteidigung als von Out-of-Area-Verantwortung in Zentralasien oder Afrika. Dabei wird oft übersehen, dass eine Konfliktregion der Post-cold-war-Welt schon seit Jahren durch wachsende Spannungen und Wettrüsten auffällt – wenn man hinschaut.
Ostasien ist weit weg, zwei Ozeane von Europa entfernt. Aber in der Globalisierung gibt es keine Sicherheit mehr vor den Konflikten in Übersee – auch wenn unsere politische Aufmerksamkeit durch näher liegende Herausforderungen gebunden sein mag.
Wir erleben in der Russland/Ukraine-Krise eine veritable Großmacht, die bereit ist, ihr Militär in einem Nachbarland einzusetzen und Europa schaudern lässt. Deutschland nimmt teil an einer Allianz gegen den Eroberungsfeldzug der Terrororganisation „Islamischer Staat“. Wir haben noch in Afghanistan zu tun, auf dem Balkan und bei der Pirateriebekämpfung im Indischen Ozean, ein bisschen auch in Afrika.
Wie gefährlich ist da Ostasien für den Weltfrieden? Manche meinen – und so verbreitet es zum Beispiel die Stiftung Wissenschaft und Politik –, Ostasien befinde sich in der gleichen nervösen Lage wie Europa 1914. Chinas Aufstieg bringe die alte Ordnung durcheinander und sorge für Unruhe wie damals das Deutsche Reich. Ostasien ist die einzige Weltregion, in der die Militärausgaben seit 1989 jährlich gestiegen sind. Es gibt keinen stabilen institutionellen Friedensrahmen, dafür etliche bilaterale Rückversicherungsbündnisse mit den USA – und reichlich Konfliktpotential. Die politischen Strategien erinnern an das „Balance of Power“-Spiel des 19. Jahrhunderts. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht, aber 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg sollten wir hinschauen, wenn Spannungen in Übersee wachsen.
Hält man sich die äußerst fragilen innenpolitischen Verhältnisse der einzelnen Nationen vor Augen, so ist leicht erkennbar: Fast jedes ostasiatische Land ist durch einen oder mehrere innere Konflikte angefochten oder zerrüttet. Wie in Europa Anfang des 20. Jahrhundert gibt es Bevölkerungsgruppen, die nicht in das nationale Narrativ hineinpassen und zu „Minderheiten“ geworden sind. So streben die Baluchen in Pakistan, die Tibeter und Uiguren in China oder die Kashmiri in Indien nach Unabhängigkeit. Hinzu kommen islamistische und kommunistische „Befreiungsbewegungen“.
Auf zwischenstaatlicher Ebene sind die Verhältnisse ähnlich spannungsreich. Es kommt immer wieder zu Grenzzwischenfällen mit unterschiedlicher Intensität und schweren Zusammenstößen zur See bis hin zum Versenken „gegnerischer“ Kriegsschiffe.
Einige Highlights der ostasiatischen Konfliktlandkarte in Stichworten:
- Islamistischer Extremismus sorgt für Destabilisierung in Afghanistan, Pakistan, Indien, Myanmar, Thailand, den Malediven, Malaysia, Indonesien und den Philippinen.
- Kambodscha, Vietnam, Laos, Myanmar und Thailand liefern sich immer wieder Grenzscharmützel. Die Aversionen beruhen zum Teil noch auf den problematisch gezogenen Grenzen aus der Kolonialzeit.
- Nordkorea provoziert entlang der Grenze zu Südkorea und auf See.
- Pakistan und Indien pflegen ihren Konflikt in Kaschmir auch militärisch.
- China und Vietnam beanspruchen beide die Paracelsus-Inselgruppe als ihr Hoheitsgebiet. Im letzten Jahr kam es fast zu einer Eskalation des Konflikts, als eine chinesische Bohrinsel in diesen Bereich geschleppt wurde. Das umstrittene Seegebiet verspricht einerseits reiche Ölvorkommen, andererseits ist es eine der wichtigsten Routen für den Welthandel. Andere Atolle im Südchinesischen Meer werden neben China auch von Malaysia, Vietnam, Brunei, den Philippinen und Taiwan beansprucht.
- China und Indien streiten schon seit längerem um den Grenzverlauf in Kaschmir. Letztes Jahr kam es fast zu einer Eskalation des Konflikts, als tausend chinesische Soldaten in ein umstrittenes Gebiet einmarschierten.
- China und Japan haben wegen der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg ein angespanntes Verhältnis. Die beiden größten Volkswirtschaften Asiens konkurrieren um die Vorherrschaft in der Region. Aktuelle Streitpunkte sind Ministerpräsident Abes Besuch des Yasukuni-Schreins, die japanische Anerkennung Tawains, Besitzansprüche über die Senkaku-Inseln und Chinas Einrichtung einer „Air Defense Identification Zone“, die Japans Hoheitsgebiet verletzt.
- Japans Beziehungen zu Russland und Südkorea sind schwierig, seitdem Japan Gebietsansprüche auf die Liancourt-Felsen (Korea) und die Kurilen (Russland) erhebt.
Das alles ist beunruhigend.
Deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik kann sich nicht auf den Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen beschränken. Instabilitäten auf der anderen Seite des Globus berühren auch die europäische Sicherheit. Allein auf die Verantwortung der USA als pazifischer Macht, die sich mit ihrem pivot to asia verstärkt den Sicherheitsinteressen ihrer Partner in Ostasien zuwendet, zu vertrauen, wird nicht ausreichen. Europa hat einen anderen Fokus und andere Möglichkeiten. Deshalb braucht die EU eine Ostasien-Strategie, die Spannungsabbau und Vertrauensbildung in diesem bevölkerungsreichsten Teil der Erde fördert.