Interview mit Hans-Peter Bartels im CPM-Forum (2-2015).

 

cpm (1): Herr Dr. Bartels, Sie sind seit gut einem Jahr Vorsitzender eines gewichtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, dem Verteidigungsausschuss. Wenn wir das Jahr 2014 betrachten, so kann man bedingt durch die Ukraine-Krise, die mörderischen Aktionen des „IS“, aber durchaus auch durch mahnende Worte unseres Bundespräsidenten, der von Deutschland auch im sicherheitspolitischen Bereich eine aktivere Rolle in einer globalen Welt fordert, Bewegung feststellen, die es seit langer Zeit nicht mehr gegeben hat. Wo würden Sie die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenspiel der großen Sicherheitspolitik heute einordnen?

Dr. Bartels: Deutschland spielt eine aktive Rolle gerade in den letzten Monaten bei dem Versuch den Russland/Ukraine-Konflikt zu deeskalieren. Insofern lagen die Reden von Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen auf der letztjährigen Münchener Sicherheitskonferenz genau richtig, auch wenn sie da noch nichts von der Zuspitzung der Lage ahnen konnten. Beim djihadistischen Terror von Libyen über Somalia, Jemen, Syrien und Irak bis Afghanistan und Pakistan sehen wir Deutsche uns nicht in der Führungsrolle, auch Europa nicht. Am besten ist es, wenn eine Allianz aus islamischen Gesellschaften, aus Staaten der arabischen Welt, deren Bestand durch diese totalitären Bewegungen direkt bedroht ist, sich zusammenfindet. Deren Selbstverteidigung wollen wir unterstützen, aber – wie gesagt – nicht anführen. Auch die USA füllen hier allenfalls eine Lücke, solange die islamische Antwort noch nicht stark genug ist. Konkret leisten wir Hilfe zur Selbsthilfe für die militärisch bedrängten Kurden im Irak durch Waffen und Ausrüstung sowie ein europäisches Ausdbildungskontingent.

cpm (2): Die unerwarteten Aktionen des russischen Präsidenten Putin sowie die Aktivitäten des „Islamischen Staat“ haben dazu geführt, dass die Mitgliedsstaaten sich im letzten September auf dem NATO-Gipfel in Wales zu einer bemerkenswerten „Gipfelerklärung“ durchgerungen haben. Dort heißt es u. a., dass die Partnerländer deren Verteidigungsausgaben bei den vereinbarten mindestens 2% des Bruttoinlandproduktes (BIP) liegen „darauf hinzielen“ werden diese nicht zu kürzen und diejenigen, die unter dieser Marge liegen, wie Deutschland mit 1,3% des BIP, „darauf abzielen“ innerhalb von zehn Jahren wieder bei 2% zu sein. Werden diese leicht verschwommenen Redewendungen wieder einmal dazu genutzt werden, dass bei uns wenig geschieht oder kündigt sich hier tatsächlich ein Wandel in Bezug auf die Sicherheitspolitik an?

Dr. Bartels: Die Phase der kontinuierlichen Budgetkürzungen und Streitkräftereduzierungen darf, glaube ich, in Europa als beendet gelten. Jetzt müssen die Verteidigungshaushalte erst einmal wieder mit der Preisentwicklung mitwachsen, und wo neue Aufgaben zu finanzieren sind, muss es auch mehr Geld geben, etwa für die Attraktivitätsagenda der Großen Koalition. Solange die internationale Lage aber ist, wie sie ist, erwarte ich in Deutschland keine großen Sprünge Richtung Zwei-Prozent-Ziel. Das wären über 50 Milliarden Euro im Jahr! Wofür?

In den letzten Jahren sind gar nicht alle Haushaltsmittel abgeflossen, die dem Verteidigungsministerium zur Verfügung standen. Es wird in der Bundeswehr auch immer noch viel Geld verbrannt durch ineffiziente Strukturen und Hin- und Her-Reformentscheidungen. Erst einmal sollten wir in Europa unsere Kräfte bündeln: In 28 EU-Nationen haben wir 1,5 Millionen Soldaten, 22 dieser Länder sind auch Mitglied in der Nato. Wir geben in Europa insgesamt 190 Milliarden Euro für Verteidigung aus. Das müsste für jeden denkbaren Zweck ausreichen – wenn es effizient ausgegeben würde und wir nicht absurde Doppel- und Dreifachstrukturen damit füttern würden!

cpm (3): Ebenfalls in besagter Gipfelerklärung steht, dass alle Bündnispartner zukünftig wieder mindestens 20% oder mehr ihres Verteidigungshaushalts für neues Großgerät und die dazugehörige Forschung und Entwicklung ausgeben sollen. Auf welchem Weg befindet sich die Bundesrepublik Deutschland da?

Dr. Bartels: Das ist schon die Größenordnung, jedenfalls wenn das vom Parlament bewilligte Geld auch ausgegeben wird. In Forschung und Entwicklung sollten wir künftig mehr investieren, etwa in ein „Gefechtsfahrzeug der Zukunft“. Das fordert der Verteidigungsausschuss konkret von der Regierung.

cpm (4): Entgegen der vielfach verbreiteten Auffassung der deutschen Rüstungsindustrie ginge es gut, ist zumindest für die mittelständischen Unternehmen die Situation bedrohlich. Sollten hier nicht in der nächsten Zeit neue Aufträge eingehen oder zumindest alte weitergeführt werden, dann dürften einige dieser Unternehmen wegbrechen. Wie sehen Sie die Situation?

Dr. Bartels: Sie haben Recht, den echten Mittelständlern wird nicht immer die Aufmerksamkeit zuteil, die sie verdienen. Es sind in der Tat nicht nur die Systemhäuser, die Deutschlands technologische Spitzenstellung erarbeiten. Durch die häufigen Ministerwechsel seit 2009 – vier Amtsinhaber in sechs Jahren – und durch die Umorganisation des Beschaffungswesens hat sich im Übrigen ein gewisser Beschaffungsstau aufgebaut. Das muss sich normalisieren. Auch kleinere sogenannte „Teil II“-Vorhaben aus der Beschaffungsliste müssen zum Zuge kommen, wenn an anderer Stelle bei Großprojekten das Geld nicht abfließt.

cpm (5): Die immer wieder angestrebte Zusammenarbeit innerhalb Europas im Rüstungsbereich stockt und kommt nicht so richtig voran. Großbritannien lehnt es z. B. in Gänze ab, auch nur im Geringsten auf nationale Rechte im Sinne des Ganzen hier zu verzichten. Welche Chancen räumen Sie einer größeren europäischen Rüstungszusammenarbeit mittelfristig ein?

Dr. Bartels: Niemand wird zur Zusammenarbeit gezwungen, es sei denn durch die eigene Vernunft. Diejenigen, die kooperieren wollen, gehen voraus. Andere folgen vielleicht später nach. Und Multinationalität kann natürlich kein Selbstzweck sein, es muss schon auch funktionieren. Manches internationale Beschaffungsprogramm der Vergangenheit hat aber nicht gut funktioniert, Beispiel NH 90 mit seinem teuren Typenwildwuchs. Vielleicht brauchen wir auch in der europäischen Beschaffung künftig „lead nations“ für bestimmte Programme. Was die wehrtechnischen Unternehmen angeht, ist die deutsche und die europäische Industriestruktur immer noch deutlich zu kleinteilig.

cpm (6): Ein Grund für das zögerliche Verhalten von NATO-Partnern gegenüber einer Zusammenarbeit mit Deutschland unter dem Stichwort „Pooling and Sharing“ ist der Parlamentsvorbehalt beim Einsatz deutscher Soldaten und im Bereich der Rüstung die Beschränkung der Weitergabe und des Verkaufs von Waffen an sogenannte „sonstige Länder“. Auf Grund einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag ist seit einiger Zeit der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe Vorsitzender einer Bundestagskommission, die das erste Problem lösen soll, wobei das zweite auch eine Rolle spielen dürfte. Wie sehen Sie die Chancen, dass es hier zu einer vor dem Deutschen Bundestag tragfähigen Lösung kommt?

Dr. Bartels: Die Nato-Partner zögern nicht, sondern haben im Gegenteil die Erwartung, dass Deutschland vorangeht. Und das wollen wir auch tun, so steht es im Koalitionsvertrag. Mit den Niederländern ist eine absolut beispielhafte Heereszusammenarbeit vereinbart, mit Polen bahnt sich eine neue Dimension des Zusammenwirkens an, und die deutsch-französische Kooperation muss nicht erst erfunden, sondern jetzt vertieft werden. Das heißt: gemeinsame organische Verbände schon im Grundbetrieb, gemeinsame Ausbildung, gemeinsame Beschaffung bei Neuausstattung. Und dann gegebenenfalls so auch gemeinsam in den Einsatz.

Die deutsche Parlamentsbeteiligung hat im Übrigen gar nichts aufgehalten oder erschwert. Aber frühere Regierungen, die international zu verhandeln hatten, neigten gelegentlich dazu, sich hinter dem Bundestag zu verstecken. Damit muss Schluss sein.

Der Parlamentsvorbehalt für Einsätze „out of area“ ist ein Erfolgsmodell. In Frankreich, Großbritannien und den USA haben in jüngerer Zeit die nationalen Parlamente auch angefangen, Entsendeentscheidungen an sich zu ziehen. Ohne Diskussion geht es in unseren Demokratien nicht mehr! Das ist gut. Daran will auch die Rühe-Kommission nichts ändern.

Was den Rüstungsexport angeht: Wenn das Überleben deutscher Firmen von der Genehmigung einzelner Ausfuhren in schwierige Staaten etwa auf der arabischen Halbinsel abhinge, dann wären diese Firmen zu klein, zu anfällig, falsch ausgerichtet.

cpm (7): Wie man hört sollen Sie Mitte Mai das Amt des Wehrbeauftragten der Bundeswehr übernehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt, wie wir meinen, ein Amt von besonderer Schwere, da die Unzufriedenheit je weiter man sich im militärischen Gefüge nach unten begibt überproportional zunimmt. Können Sie uns jetzt schon einen Schwerpunkt Ihrer zukünftigen Tätigkeit nennen?

Dr. Bartels: Ich bin zwar schon vom Bundestag gewählt, aber Helmut Königshaus ist noch bis Mai im Amt und macht einen prima Job! Er hat wichtigen Themen Schub gegeben, Stichworte Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr, Personalengpässe, Zustand von Kasernen oder Ausrüstungsmängel. Daran knüpfe ich an.

 

 

Foto: Fregatte Augsburg. Quelle: Bundeswehr.