Am Ende seiner Laufbahn kämpft Oskar Lafontaine wieder gegen einen sozialdemokratischen Bundeskanzler. So war er Anfang der 80er Jahre bekannt geworden: als Kritiker der NATO-Nachrüstungspolitik und der Sekundärtugenden („mit denen man auch ein KZ betreiben kann“) seines regierenden Genossen Helmut Schmidt. So verabschiedet er sich aus der aktiven Politik: als letzter Aufrechter gegen die NATO-Intervention im Kosovo und gegen den „radikalen Kurswechsel zum Neoliberalismus“ seines regierenden Genossen Gerhard Schröder.
Wie manche seiner erfolgreichen Berufskollegen ist Lafontaine in erster Linie ein Machtmensch, ein Einzelkämpfer, der Zustimmung nicht aus der Bestimmtheit, sondern aus der Vagheit seiner Positionen gewinnt: Man kann vieles in ihn hineinsehen. Er spielt mit Überzeugungen. Mal ist er liberaler Modernisierer, der die Gewerkschaften mit Aufsehen erregenden Flexibilisierungszumutungen quält, mal sozialer Hüter der gewerkschaftlichen Tradition, mal ökosozialistisch, mal antikapitalistisch. Nie gegen den Zeitgeist, aber oft gegen den eigenen Laden. In seinem vorletzten Buch, „Keine Angst vor der Globalisierung“ (1998), mahnt er, das Bildungswesen müsse sich stärker der Vermittlung von Sekundärtugenden widmen („Anstand“, „Benehmen“, „Takt“, „Verantwortungsbewusstsein“, „Zuverlässigkeit“, „Disziplin“). Das ist schon beinah wieder Konsens heute.
Mit Oskar Lafontaine scheitert kein „Projekt“, kein Flügel, keine Fraktion innerhalb der Sozialdemokratie, sondern ein Mann, der vieles wollte. Seine Haltung verbindet Entschlossenheit mit Beliebigkeit. Die jeweils letzte Idee ist die beste. Man ist ja lernfähig. „Zudem hatte ich ein neues Projekt“, schreibt der Ex-Parteivorsitzende über seine zähneknirschende Partnerschaft mit dem Medienkanzlerkandidaten Schröder: Oskar regelt die internationalen Finanzmärkte! Gute Idee, bis zum nächsten Projekt.
Was Lafontaine schreibt, ist Diskussionsthema – weil er immer das thematisiert, worüber schon alle wirklich modernen Menschen reden. Dass Arbeitslosenhilfe nur noch nach Bedürftigkeit gezahlt wird, war so eine Oskar-Idee vom SPD-Parteitag im Dezember1998. Oder dass man doch auch mal mit der PDS koalieren könnte (sagt er jetzt).
Aufstieg, Leuchten, Irrlichtern und Scheitern des früheren saarländischen Juso-Vorsitzenden, SPD-Landesvorsitzenden, Oberbürgermeisters, Ministerpräsidenten, Kanzlerkandidaten, Parteivorsitzenden und Bundesministers Oskar Lafontaine sind nicht völlig untypisch für Ambition und Erfolg seiner sozialdemokratischen Mit-„Enkel“-Generation. Auch Engholm, Scharping und Schröder waren oder sind Kanzlerkandidaten und SPD-Vorsitzende. Nur einer konnte am Ende der überlangen innerparteilichen Führungskonkurrenz Kohl im Kanzleramt ablösen. Da sitzt nun Schröder. Die Zeit der Troika-, Rechts-Links-, Innovation-und-Gerechtigkeit-, zwischen-uns-passt-kein-Blatt-Inszenierungen ist vorbei. Nun müssen Sozialdemokraten die Regierung unterstützen, weil es ihre ist – und weil sie das Richtige tut. Das macht nicht immer Spaß, aber jetzt ist es ernst.