Der vermeintlich so „grundsolide“ Verteidigungsminister de Maizière tarnt, täuscht und trickst bei der Bundeswehr-Reform. Mit vielen Manövern gaukelt er Solidität nur vor.
Als Thomas de Maizière umständehalber auf den Posten des Verteidigungsministers versetzt wurde, war ihm die Sympathie des Publikums sicher: Im Kontrast zum Felix-Krull-artigen Vorgänger galt er als verlässlich, bescheiden, erfahren, ein bisschen grau, aber unbedingt vertrauenswürdig. Selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel lobte: „Merkel schickt ihren besten Mann.“
Um die Aufgabe, das von Karl-Theodor zu Guttenberg hinterlassene, „bestellte Haus“ aufzuräumen, beneidete de Maizière kaum jemand. Dass die Abschaffung der Wehrpflicht nicht automatisch zu Milliardeneinsparungen führen, sondern Mehraufwand für Nachwuchswerbung und Umstrukturierung erfordern würde, lag auf der Hand. Die neue Freiwilligenarmee würde zwar kleiner, käme aber kaum billiger. Dennoch betonte auch der neue Minister die Haushaltskonsolidierung als leitendes Rational seiner Reform der ohnehin strukturell unterfinanzierten Bundeswehr. Umbauen und gleichzeitig sparen – das klang vielen Beobachtern nach Quadratur des Kreises, Mission impossible.
Genau so sieht der Kreis aus: überall Beulen, Tarnfarbe, verwunschene Ecken. Vieles ist nicht so, wie es scheint, kaum eine Reformzahl stimmt. Sechs Beispiele.
Erstens: Formal verzichtet der Verteidigungsminister weiterhin auf die von Guttenberg aus seinem Haushalt zugesagten acht Milliarden Euro „Konsolidierungsbeitrag“. Tatsächlich aber stehen außerhalb des Verteidigungsetats über einen anderen Haushaltstitel, den Einzelplan 60, zusätzlich vier Milliarden für Personalanpassungsmaßnahmen bereit: ein Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit.
Zweitens: Weil das Verteidigungsministerium selbst errechnet hat, dass statt der von de Maizière gewollten Reduzierung des Zivilpersonals auf 55 000 Dienstposten tatsächlich 62 000 Zivilbeschäftigte gebraucht werden, sollen Bundeswehrmitarbeiter in anderen Ministerien „versteckt“ werden, damit am Ende siegreich die Zahl 55 000 steht. Infrage kommen als Erfüllungsgehilfen für dieses regierungsinterne Outsourcing der Finanz- und der Innenminister. Alles Bundeswehrpersonal, das für Besoldung, Beihilfe, Versorgung und Reiseabrechnung zuständig ist – über 2 000 Beamte und Angestellte der Wehrverwaltung –, könnte ins Bundesverwaltungsamt wechseln, das so zu doppelter Größe anwüchse: Die gleichen Mitarbeiter würden die gleiche Arbeit für die gleiche Bundeswehr machen – nur gehörten sie eben nicht mehr dazu, sondern würden aus dem Haushalt des Innenministers bezahlt. Das spart im Gesamthaushalt des Bundes null Komma nichts, aber de Maizière hätte Personalkosten aus seinem Etat getilgt.
Drittens: Ein weiteres „Outsourcing“, das nichts spart, betrifft die Materialerhaltung der Marine. Obwohl die deutsche Flotte bei dieser Reduzierungswelle zu Recht nur moderat schrumpft, werden die bundeseigenen Instandhaltungskapazitäten halbiert, ein Arsenalbetrieb soll künftig leisten, was bisher zwei zu tun hatten. Da diese Rechnung nicht aufgehen kann, dürften die Vergaben an die Wirtschaft sprunghaft ansteigen. Der Minister spart eigenes Personal, senkt aber keine Kosten. Andere Privatisierungsprojekte früherer Reformen müssten Warnung genug sein.
Viertens: Für die neuen freiwillig Wehrdienst Leistenden (FWDL) sieht de Maizières Reformkonzept „bis zu“ 15 000 Betten in den Kasernen vor. Tatsächlich auf Dienstposten in der Struktur vorgesehen sind indes nur 5 000 FWDL-Soldaten. Für darüber hinausgehendes Personal wird man „Beschäftigung finden“, wenn das Problem sich stellt, heißt es in der Truppe. Im Verteidigungshaushalt 2012 ist ohnehin nur Geld für 12 500 Freiwillige eingeplant. Jeder von ihnen kann innerhalb der ersten sechs Monate jederzeit fristlos kündigen. Seit dem 1. Juli 2011 haben das schon fast 30 Prozent der Rekruten getan. Wie lange mit diesem „Fünftes Rad am Wagen“-Modell noch herumexperimentiert werden soll, ist wohl eine Frage von nur wenigen Quartalen: Der von Schwarz-Gelb 2010 eingeführte sechsmonatige Grundwehrdienst war ganze drei Quartale in Kraft.
Fünftens: Durch einen bisher völlig unbeachteten personalwirtschaftlichen Kunstgriff schrumpft die Bundeswehr tatsächlich weniger stark, als es scheint. Die Truppe gewinnt mehr als 10 000 Soldaten dadurch, dass die Berufsförderung für Zeitsoldaten künftig nicht mehr im letzten Abschnitt der Dienstzeit beginnt, sondern erst mit Beendigung der vier- oder zwölf oder auch (neu:) zwanzigjährigen Verpflichtungszeit. Ob sich dann allerdings wirklich alle Soldaten außer Dienst für neue Aufgaben weiterbilden oder aber die Zahl prekärer Anschlussbiografien steigt, wird genau zu beobachten sein.
Sechstens: Wird offiziell erklärt, von 328 Bundeswehrgarnisonen würden „31 Standorte geschlossen“, so ist dies eine Nonsenszahl! Weitere 33 Standorte werden laut Stationierungsplan „auf weniger als 15 Dienstposten verkleinert und damit nicht mehr als Standort bezeichnet“, macht zusammen 64. Darüber hinaus muss es in Kommunen wie Saarlouis (Reduzierung von 740 auf 40), Meßstetten (von 840 auf 20) oder Boostedt (von 1 980 auf 40) wie Hohn klingen, wenn sie als „erhaltener Standort“ in der Statistik dienen müssen.
PDF-Dokument
Hans-Peter Bartels – Viele Zahlen sind falsch – Handelsblatt – 22.12.2011