Wie weiter mit der Operation „Enduring Freedom“?
Vor dem Bundesparteitag der SPD Ende Oktober in Hamburg wird fleißig darüber spekuliert, wie sich die sozialdemokratische Basis zu der amerikanisch geführten Operation „Enduring Freedom“ (OEF) in Afghanistan verhält. Während davon ausgegangen werden kann, dass die International Security Assistance Force (ISAF) nebst Tornado-Einsatz im Deutschen Bundestag eine deutliche Mehrheit finden wird, gilt dies für OEF als offen. Die Debatte ist stark emotionalisiert, deshalb lohnt es sich, einigen Fragen intensiver nachzugehen.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist die ISAF die „gute“ Mission. Es geht um die Unterstützung der gewählten Regierung Afghanistans. Es geht um den Erhalt beziehungsweise Aufbau eines sicheren Umfeldes, es geht um die Entwicklung demokratischer Strukturen, um Brunnenbau, Strom und Straßen, Frauenrechte. Die „Schutztruppe“ ISAF wird von der NATO geführt und steht unter UN-Mandat.
OEF ist die „böse“ Mission. Sie hat zum Ziel, „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten“. (Bundestagsdrucksache 14/7296, 7. November 2001). OEF ist amerikanisch geführt und stützt sich aufgrund der Ereignisse vom 11. September 2001 auf das amerikanische Recht zur Selbstverteidigung, anerkannt, aber nicht beauftragt durch den UN-Sicherheitsrat. Die deutliche Ablehnung von OEF in Deutschland beruht vor allem auf der Wahrnehmung, dass diese Militärmission auf die afghanische Zivilbevölkerung wenig Rücksicht nimmt.
Der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages diskutiert in jeder Sitzungswoche neu den Tagesordnungspunkt „Bericht aus den Einsatzgebieten“. Die Situation in Afghanistan nimmt dabei regelmäßig breiten Raum ein. Wir haben als Fachpolitiker damit einen guten Kenntnisstand über die ISAF. Dazu trägt auch der persönliche Eindruck bei, den wir durch regelmäßige Besuche im deutsch geführten Nordsektor und auch in Kabul sowie durch Gespräche mit sachkundigen Beobachtern gewinnen.
Was aber wissen wir über OEF? 1800 deutsche Soldaten sind derzeit mandatiert. Tatsächlich stehen im Einsatz am Horn von Afrika aktuell 244. Für Afghanistan sind bis zu 100 deutsche Spezialkräfte vorgesehen, die aber seit Oktober 2005, soweit wir wissen, nicht mehr dort waren. Die ursprüngliche Obergrenze von 3900 wurde 2003 auf 3100, im Jahr 2004 auf 2800 und 2005 auf 1800 reduziert. Für den neuen Parlamentsbeschluss im November ist von einer Absenkung auf 1400 die Rede.
Seit dem schrecklichen Angriff auf Amerika am 11. September 2001 sind nun sechs Jahre vergangen. Das ist mehr Zeit, als der Zweite Weltkrieg gedauert hat. Immer noch Zeit zur Selbstverteidigung? Was tut OEF heute? „Über 50 Prozent der Soldaten von OEF sind heute Trainer, die afghanische Polizisten und Soldaten ausbilden. Aber natürlich hat ein geringer, ein sehr geringer Teil der OEF-Kräfte auch noch eine andere Funktion, nämlich die harte Arbeit des Anti-Terror-Kampfes zu übernehmen, die leider notwendig ist.“ So beschreibt Victoria Nuland, amerikanische NATO-Botschafterin, in einem Interview mit „Vanity Fair“ (20. September 2007) den Auftrag von OEF. Die Formulierung lässt viele Fragen offen.
Amerikanische Militärs und Politiker pflegen die Bedeutung von OEF im Wissen um die europäischen Kontroversen zu relativieren. Bestritten wird von dieser Seite auch die fehlende Transparenz. In aktuellen Meldungen zu gezielten Operationen wird betont, dass keine zivilen Opfer zu beklagen gewesen seien. Eigene Erkenntnisse darüber haben wir nicht. Der Bundestag erfährt nichts, die Bundesregierung sagt, sie weiß nichts, und selbst zuständige Nato-Führer beklagen sich gelegentlich darüber, dass man ihnen als Nicht-Amerikanern den Zugang zu den notwendigen Informationen erschwert.
Als sozialdemokratische Verteidigungspolitiker raten wir dringend zu einer Überprüfung der Mission OEF. Mit Interesse nehmen wir zur Kenntnis, dass auch in den Gremien der NATO eine solche Diskussion begonnen hat. Die Situation in Afghanistan verlangt ganz offensichtlich nach „Kohärenz“, nach einer einheitlichen Strategie. Dazu erscheint es sinnvoll, die bestehenden Mandate zusammenzuführen. In diese Überlegungen ist die afghanische Seite selbstverständlich mit einzubeziehen. Schließlich ist das Ziel aller internationalen Bemühungen, Afghanistan in die Lage zu versetzen, Sicherheit und Aufbau selbst organisieren zu können.
Vor diesem Hintergrund wäre für die unstrittige Daueraufgabe der Seeraumüberwachung am Horn von Afrika dann eine gesonderte Mandatierung herbeizuführen.
Unsere Forderungen sind gewiss nicht ruckzuck umzusetzen. Sie brauchen Beratungszeit. Eine offene Diskussion auf dem kommenden SPD-Parteitag zum deutschen Engagement in Afghanistan kann für künftige Entscheidungen nur hilfreich sein.