Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Koalition, ich glaube, wenn Sie sagen müssten, was jetzt genau das Ziel dieser Bundeswehrreform sein soll, dann kämen Sie ganz schön ins Schwimmen. Geht es vorrangig um die Schuldenbremse als höchsten strategischen Parameter, wie Ihr verflossener Minister zu Guttenberg das genannt hat, oder geht es um die bessere Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte? Dann frage ich Sie: Wo genau sind die Verbesserungen versteckt? Oder ging es einfach nur um die Abschaffung der Wehrpflicht, womit die FDP – herzlichen Glückwunsch, Herr Koppelin! – sich nun fast vollständig durchgesetzt hat? Ich glaube, Sie sind selbst ein bisschen unglücklich darüber, dass man nicht wirklich erkennen kann, welcher Rationalität diese Operation folgt.
Sie bekommen eine kleinere Bundeswehr; das ist klar. Aber wenn wir nicht alle aufpassen, dann erleben wir den Übergang von einer größeren unterfinanzierten Bundeswehr zu einer etwas kleineren unterfinanzierten Bundeswehr. Ich warne davor, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Finanzierung muss stimmen.
Auch bei dem gerade neu eingeführten freiwilligen Wehrdienst sind alle Parameter unklar. Wie viele freiwillig Wehrdienstleistende wollen Sie denn nun haben? 7 500, wie es in den ersten Papieren von Generalinspekteur Wieker hieß, oder 15 000 wie der Amtsvorgänger des jetzigen Ministers in Aussicht gestellt hat, oder nur 5 000 plus, wie jetzt Herr de Maizière sagt? Was wollen Sie wirklich? Wollen Sie möglichst wenige Freiwillige, damit Sie nicht mehr bezahlen müssen, oder wollen Sie den freiwilligen Wehrdienst so schnell wie möglich ganz abschaffen? Das Vorgängermodell, der von Ihnen eingeführte sechsmonatige Grundwehrdienst, hat auch nur für drei Quartale gegolten.
Ich sage Ihnen heute voraus: Auch der freiwillige Wehrdienst wird bei Ihnen jetzt nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zur völligen Abschaffung dieser Wehrform sein. Das ist schade, das ist bitter, das ist nicht gut. Wir hätten hier im Parlament gemeinsam zwischen Koalition und Opposition etwas Besseres vereinbaren können, etwas Dauerhaftes. Wir Sozialdemokraten hätten im Übrigen diesen leichtfertigen Umgang mit der Wehrpflicht gerade von der CDU und CSU nicht erwartet.
(Beifall bei der SPD)
Ich fordere Sie auf: Stehen Sie zum freiwilligen Wehrdienst, den Sie vor acht Wochen doch selbst erst hier im Bundestag beschlossen haben! Planen Sie dann eine substanzielle Zahl von Freiwilligen ein, auf richtigen Dienstposten, für einen Dienst, der gebraucht wird, nicht auf Extrastellen außerhalb der Streitkräftestruktur, nicht als fünftes Rad am Wagen! Das nämlich hätten die jungen Leute, die sich melden, nicht verdient. Machen Sie diesen Dienst attraktiver! Es geht nicht nur mit Ehre. Werben Sie flächendeckend für das freiwillige Engagement junger Leute in allen Formen, die unser Land anbietet und braucht: bei der Bundeswehr, im Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahr, im Entwicklungsdienst, im neuen Bundesfreiwilligendienst und natürlich im THW und bei den anderen Diensten des Katastrophenschutzes, die auch alle bisher auf Wehrpflichtige rechnen konnten.
Der unorganisierte, überstürzte Ausstieg aus der Wehrpflicht war ein Fehler. Das werden Sie demnächst sogar bei den Bewerbungen für den Dienst als Zeitsoldat merken. Wundern Sie sich dann nicht. Sie müssen jetzt für eine Kultur der Freiwilligkeit in diesem Land werben, nicht mit Abenteueranzeigen in der Bild-Zeitung, sondern massiv, flächendeckend, umfassend, für alle Dienste. Rufen Sie eine „Woche der Freiwilligkeit“ aus, in der sich alle Träger öffentlich darstellen, oder denken Sie sich etwas anderes aus! Das ist eine aktive Gestaltungsaufgabe. Wer bloß abwartet, will vielleicht gar keinen Erfolg. Ich wünschte mir eine Regierung, die nicht reaktiv, sondern die aktiv an diese Fragen herangeht.
(Beifall bei der SPD)
Fangen Sie damit an, wir machen dann schon weiter.
Herr Minister, da dies nun nicht die erste Reform von Streitkräften ist, gibt es schon einige Erfahrungen, die auch zum Beispiel Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung gemacht haben und die Sie sicher gern mit uns teilen wollen. Ich nenne sechs Punkte:
Erstens. Begrenzen Sie den Umzugsaufwand so stark wie möglich. Auch diese Reform schafft keine Strukturen und Stationierungen für die Ewigkeit. Kleine Standorte können effektiv, größere können uneffektiv sein. Sie kennen Beispiele. Sparen Sie unnötige Transaktionskosten.
Zweitens. Bleiben Sie mit der Bundeswehr in der Fläche. Der Arbeitgeber Bundeswehr muss sichtbar und erlebbar sein. Das Militärische darf dem Zivilen nicht zu fremd werden.
(Beifall bei der SPD)
Drittens. Vorsicht mit den Ärmelschonerklischees über die Zivilbeschäftigten der Bundeswehr. Wir brauchen diese Mitarbeiter. Wer überproportional Zivilpersonal abbaut, der bürdet den immer weniger werdenden Soldaten Aufgaben auf, die nicht zu deren Kernauftrag gehören, oder er füttert private Dienstleistungsfirmen. Wir brauchen aber Experten in den Wehrtechnischen Dienststellen, wir brauchen die erfahrenen Kollegen in den Arsenalbetrieben, in den Bundeswehr-Dienstleistungszentren, in der Wehrverwaltung, in den Krankenhäusern, in den Instituten und in den Streitkräftestrukturen selbst, etwa die zivilen Seeleute im Trossgeschwader der Marine. Das ist kein überflüssiges Zusatzpersonal, das ist die Bundeswehr selbst: Soldaten und Zivilbeschäftigte.
Viertens. Das Heer leidet stärker als andere Teilstreitkräfte unter dem Wegfall der Wehrpflichtigen. Ihr Ansatz, Herr Minister, dennoch das Spektrum der Fähigkeiten des Heeres in geringerer Stärke weitgehend zu erhalten, ist richtig, solange es keine wirkliche europäische Streitkräfteplanung, kein Pooling und Sharing gibt. Aber bleiben Sie bitte konsequent. Erhalten Sie zum Beispiel auch ein Element Heeresflugabwehrtruppe und bei der Marine zum Beispiel auch die U-Abwehrfähigkeit der Flotte.
Fünftens. Die Spitzengliederung der Teilstreitkräfte zu straffen, aus drei Stäben jeweils eine Kommandobehörde zu machen, findet unsere Unterstützung, ebenso die Stärkung des Generalinspekteurs. Aber entlassen Sie die Inspekteure der Teilstreitkräfte – oder Befehlshaber, wie sie wohl künftig heißen sollen – nicht aus der ministeriellen Mitverantwortung. Nicht ihre Führungsstäbe, aber die Befehlshaber in Person brauchen einen Platz im Ministerium als Mitglieder des Militärischen Führungsrates. Vermeiden Sie die Konfliktlinie: hier Berlin, da Truppe. Teilstreitkraftübergreifendes Denken muss die Rationalität der neuen Bundeswehr sein.
Sechstens. Herr Minister, Sie sind Abgeordneter für Meißen im Freistaat Sachsen. Auch Sachsen hat bedeutende Bundeswehrstandorte. Auf die Stationierung der kleineren Bundeswehr angesprochen, werden Sie mit dem Satz zitiert: „Ich weiß, wo ich herkomme.“ Das ist nicht zu kritisieren, aber Sie wissen, dass es vielen Kollegen hier im Hause auch so geht wie Ihnen. Fast überall identifizieren sich Kommunen, Bundesländer und Abgeordnete mit ihrer Bundeswehr vor Ort. Das ist kein bedauernswerter Kirchturmpatriotismus und sollte auch nicht so verstanden werden, sondern das ist ein gutes Fundament für die Verankerung unserer Bundeswehr in unserer Gesellschaft.
Abschließend: Diese Reform ist chaotisch gestartet, der neue Minister hatte nicht mehr wirklich die Chance, die Reset-Taste zu drücken. Aber wir nehmen Ihnen ehrlich ab, dass Sie bemüht sind, jetzt das Beste daraus zu machen. Lassen Sie uns versuchen, dabei so viel parteiübergreifenden Konsens wie möglich zu finden.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD)
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