Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 30. April 2004

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP erfreut uns ja, zumindest seit ihrer Wende, in schöner Regelmäßigkeit mit Anträgen zu diesem immergrünen Thema. Es gab drei Anträge in der 14. Wahlperiode und schon zwei – wir zählen diesen einmal mit – in dieser Wahlperiode. Machen Sie ruhig so weiter; wir diskutieren das gerne, wenn auch nicht so gerne als letzten Punkt der Tagesordnung.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Dafür können Sie uns doch nicht verantwortlich machen!)

Egal ob es dafür einen konkreten Anlass gibt: Ich weiß nicht, was Sie mit diesen Anträgen gewinnen. Wir können am Ende einmal zusammenzählen, wer die meisten Anträge gestellt hat. Wahrscheinlich gewinnen Sie gegen die Grünen.

Die Diskussion um die Wehrpflicht gibt es in allen Parteien. In der SPD gibt es eine breite und öffentlich geführte Diskussion darüber, ob die Wehrpflicht die zeitgemäße Wehrform ist. Ich persönlich bin der Meinung, dass sie es ist. Diese Diskussion gibt es – in einem geringeren Umfang – auch in der Union. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass sich einzelne Abgeordnete kontra Wehrpflicht äußern, also für die Aussetzung der Wehrpflicht sind. Diese Diskussion muss es in Volksparteien geben. Ob es in den beiden kleineren Fraktionen Kollegen gibt, die für die Pro-Position streiten, weiß ich nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass dem so ist.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Nach meiner Kenntnis: ja!)

Vielleicht wird diese Position im Moment nicht so laut geäußert.

Wir haben uns in der SPD auf ein Verfahren festgelegt, mit dem wir zu einer gemeinsamen Position kommen wollen. Unsere heutige Position ist, dass die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Koalition von uns mitgetragen werden. Nach diesen Richtlinien ist die Wehrpflicht nach wie vor die Wehrform, die wir für die vorgesehene Reform der Bundeswehr brauchen. Aber man kann über andere Positionen diskutieren. Wir wollen im November dieses Jahres eine Parteikonferenz veranstalten. Wir werden dann ein Jahr später auf einem Parteitag den Beschluss fassen, ob wir bei der Wehrpflicht, entweder in der bisherigen oder in einer modifizierten Form, bleiben oder ob wir eine Aussetzung der Wehrpflicht befürworten. Daraus würden sich Folgerungen für die Bundeswehr ergeben, die in der Koalition zu diskutieren sein werden.

Der Koalitionsvertrag besagt, dass die Wehrpflicht als Wehrform bis zum Ende dieser Wahlperiode überprüft werden soll. Diese Prüfung ist ergebnisoffen. Ich selbst kann keine Prognose abgeben, wie die Prüfung ausgeht.

(Ina Lenke [FDP]: Rechtzeitig vor den Bundestagswahlen werden Sie das machen, damit Sie die Stimmen der jungen Wähler kriegen! Stimmenfängerei ist das und nichts anderes!)

– Dieses Thema wird Gegenstand der Bundestagswahl sein. Es ist gut, dass die Bevölkerung am Ende darüber abstimmen kann. Wir sind mit einer klaren Position in die letzte Wahl gegangen.

(Ina Lenke [FDP]: Sie wollen Stimmen fangen und deshalb machen Sie es kurz vor der Wahl!)

– Ich weiß nicht, welche Stimmen Sie fangen wollen.

Die Bundeswehr befindet sich im Wandel und auch die Wehrform befindet sich im Wandel. Die Wehrpflicht passt sich an. Zu meiner Zeit dauerte der Wehrdienst 15 Monate. Davor waren es 18 Monate. Inzwischen liegen wir bei neun Monaten. Die Dauer des Wehrdienstes ist also variabel und abhängig von den Jahrgangsstärken und davon, wie sich der Personalbedarf einer kleiner werdenden Bundeswehr entwickelt. Das ist keine neue Situation. Mit der Situation, dass die Dauer der Wehrpflicht immer an den gegenwärtigen Bedarf angepasst werden muss, haben wir zu tun, seitdem es die Bundeswehr gibt.

Ich möchte etwas zu den Zahlen sagen, mit denen gelegentlich operiert wird. Man kann nicht von Restwehrpflicht sprechen,

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das sagt aber der Koalitionspartner!)

wenn 120 000 junge Männer im Jahr 2003 – das ist eine Zahl aus dem Verteidigungsministerium – auf der Grundlage der Wehrpflicht neu zur Bundeswehr kommen,

(Ina Lenke [FDP]: Nur jeder Zweite!)

entweder als W-9er, freiwillig länger Dienender oder als Zeitsoldat. Auch der Zeitsoldat unterliegt der Wehrpflicht und leistet zunächst einmal seinen Wehrdienst ab. Diese Zahl sollten wir alle im Hinterkopf behalten. Diese Rotation ist wichtig, da sie eine Anbindung an die Gesellschaft bedeutet, die wir wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ina Lenke [FDP]: Von 400 000!)

– Es ist bezüglich dieser Zahl 400 000 schon gesagt worden, welche Dienste noch geleistet werden. Ich nenne beispielsweise Zivildienst, Ersatzdienst, Dienst im Katastrophenschutz bis hin zum Entwicklungsdienst. Der weit überwiegende Teil der etwa 430 000 jungen Männer eines Jahrgangs leistet tatsächlich einen Dienst.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das sieht das Kölner Gericht aber anders!)

– Das Koblenzer Gericht sieht es wiederum anders. Es handelt sich um Entscheidungen einzelner Gerichte. Das mag bis zur letzten Instanz durchgeklagt werden.

Es sind im Wesentlichen die Mannschaftsdienstgrade, die aufgrund der Wehrpflicht rekrutiert werden. Rekrutieren Sie einmal Mannschaftsdienstgrade für eine Berufsarmee!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Machen Sie sich einmal klar, was das kosten und was das qualitativ gesehen für die Bundeswehr bedeuten würde. Ich bin in diesem Punkt durchaus skeptisch.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Mir ist es recht, wenn immer weitere Fundamentalalternativen in die Diskussion gebracht werden: Abschaffung der Wehrpflicht, Aussetzung der Wehrpflicht, Auswahlwehrpflicht, Verkleinerung der Bundeswehr, Vergrößerung der Bundeswehr. Es gibt einen bunten Strauß von Möglichkeiten, die neben dem, was es momentan gibt und was sich bewährt hat, ins Gespräch gebracht werden. Ich wäre gar nicht überrascht, wenn am Ende einer solchen Diskussion steht, dass sich der Mittelweg zwischen den extremen Positionen durchgesetzt hat. Auch das soziale Pflichtjahr ist eine so fundamental neue Position, dass am Ende sehr wahrscheinlich ein Mittelweg eingeschlagen wird.

Wenn wir in der SPD, in der Koalition und in der Bevölkerung über die Zukunft der Wehrpflicht diskutieren, dann – das will ich als letzten Satz sagen – sollte uns bewusst sein, dass es hier nicht in erster Linie um die mehr oder weniger kostbare Freizeit für 18-jährige Männer geht,

(Ina Lenke [FDP]: Um Gerechtigkeit geht es!)

sondern um die sehr grundsätzliche Frage, ob das Militär – zumal in Deutschland – eine Veranstaltung der ganzen Gesellschaft oder eine lästig gewordene Dienstleistung sein soll, die man genauso gut outsourcen könnte. Ich will das nicht.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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