Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch politische Themen haben Konjunkturen. Die Frage, wie wir als Gesellschaft mit dem Phänomen der Sekten und Psychogruppen sowie den Gefahren, die von diesen Gruppierungen ausgehen können, umgehen, steht derzeit nicht im Rampenlicht. Andere Fragen beherrschen die Tagesordnung, auch hier und heute. Dabei ist das Thema der Sekten manchmal doch ganz aktuell. Dies zeigte sich in der Antiterrorgesetzgebung. Als Reaktion auf die Bedrohung durch Extremisten haben wir mit Bundestagsbeschluss vom 9. November 2001 das Religionsprivilegim Vereinsgesetz gestrichen – nur eine winzige Änderung im Text, aber ein Kernpunkt der Sicherheitsgesetzgebung.
Die Rechtslage ließ bisher kein Verbot extremistischer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften zu, während gegen sonstige Vereine mit Verbotsverfügungen vorgegangen werden konnte. Im bundesdeutschen Rechtsstaat schützte dieser der Religionsausübung freigeräumte, quasi rechtsfreie Raum vor allem hoch konfliktträchtige Gruppen vor der Intervention des Staates. Selbst wenn elementare Grundrechte der eigenen Anhänger – Gesundheit und Leben, Willensfreiheit, Familie oder Eigentum – durch eine sektiererische Organisation unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit verletzt wurden, blieb die Organisation unantastbar. Das haben wir nun geändert.
Das Bundesinnenministerium nennt in der Begründung des Gesetzes drei Fallgruppen von Vereinigungen, die bislang gegen ein Verbot geschützt waren: fundamentalistisch- islamistische Vereinigungen, die zur Durchsetzung ihrer Glaubensüberzeugung Gewalt gegen Andersdenkende nicht ablehnen, Vereinigungen mit Gewinnerzielungsabsicht oder politischen Zielen, die für sich den Status einer religiösen bzw. weltanschaulichen Vereinigung reklamieren und im Rahmen von Vereinsverbotsverfahren Prozessrisiken hinsichtlich der Beurteilung ihres Vereinigungscharakters aufwerfen – das betrifft etwa die „Scientology“-Organisation – sowie bislang nur im Ausland mit Tötungsdelikten und Massenselbstmorden aufgetretene Weltuntergangssekten wie „Aum“ oder die „Sonnentempler“.
Sofort mit In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung hat der Bundesinnenminister von seinen neuen rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und die „Kalifatstaat“- Sekte verboten. Sie ist ein Beispiel dafür, wie sich politischer Extremismus und religiöse Intoleranz vermengen können. Mit der Abschaffung des Religionsprivilegs ist eine wichtige Empfehlung der Enquete-Kommission umgesetzt worden. Das ist gut so.
(Beifall bei der SPD)
Anderes ist auf dem Weg. So führt das Familienministerium ein Modellprojekt durch, dessen Ziel es ist, das in bestehendenBeratungsinstitutionen vorhandene Personal für die Beratungstätigkeit auf dem Gebiet der Sekten und Psychogruppen zu qualifizieren und weiterzubilden. Das betrifft Lebensberatung, Eheberatung, Jugendberatung, Erziehungsberatung oder Sektenberatung. Darüber hinaus soll die Vernetzung dieser Institutionen gefördert werden. Die Laufzeit des Projektes beträgt Zweidreivierteljahre. 1,8 Millionen DM stehen dafür insgesamt im Bundeshaushalt zur Verfügung. Dies dient auch der Prävention und der Aufklärung, zu der im Übrigen auch die Länder verpflichtet sind.
Eine weitere rechtliche Klarstellung ist ebenfalls nicht ohne Bedeutung für unser Thema. Auf Initiative der Koalitionsfraktionen wurde im Juli 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch unmissverständlich klargestellt, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben:
Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
So steht es im Gesetz. Das Wohl des Kindes hat Priorität. Damit haben wir eine Zielsetzung auch der Enquete-Kommission „So genannte Sekten und Psychogruppen“erfüllt.
Abschaffung des Religionsprivilegs, Verbesserung der Beratung, gewaltfreie Erziehung – das sind einige positive Schritte, die wir mit unserer Koalition unternommen haben und die ich genannt habe. Das kann aber noch nicht alles sein. Die Liste der Vorschläge der Enquete-Kommission, die noch in der Diskussion sind, ist lang – zu lang! Manche Vorhaben sind schwierig und lassen sich nicht mit einer kleinen Gesetzesänderung umsetzen. Die CDU/CSU-Fraktion macht es sich deshalb mit dem Katalog ihres Antrages ein bisschen einfach. Hinter mancher schnellen Forderung verbirgt sich eine komplizierte und bisweilen recht grundsätzliche juristische Frage.
Ich nenne nur die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortung für juristische Personen.
Es gibt aber auch Bereiche, in denen ohne Zweifel mehr hätte geschehen können. Ich wundere mich ein bisschen, dass selbst eine unumstrittene Empfehlung wie die, das Sektenreferat im Bundesverwaltungsamt zu stärken, schon so lange auf ihre Realisierung wartet.
Als die Sektenfrage Konjunktur hatte – das war insbesondere 1996, als Tageszeitungen auf ihren Titelseiten über das Thema berichteten –, schien vieles einfacher durchzusetzen. Die öffentliche Wahrnehmung hat seither abgenommen. Deshalb fällt es manchmal schwer, den notwendigen Druck zu machen. Wir werden aber weiter daran arbeiten und darauf drängen, dass mehr Empfehlungen der Enquete-Kommission tatsächlich umgesetzt werden.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD)
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