Feststellungen und Argumente von Hans-Peter Bartels, MdB (November 2001)

Die Entscheidung zur Bereitstellung deutscher Soldaten für die Bekämpfung internationaler Terror-Strukturen ist keine leichte, und sie wird nicht leichtfertig getroffen. Wer gegen organisierte Gewalttäter einschreitet, geht Risiken ein, an den möglichen Einsatzorten der Soldaten wie auch im Innern. Aber unser Risiko wäre langfristig größer, wenn wir es nicht täten: wenn wir uns jetzt nicht wirksam engagieren wollten für den Erfolg der weltweiten Allianz gegen den Terror.

  • Der Bundestag hat am 19. September 2001 auf Antrag von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP u.a. beschlossen: „Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft der Bundesregierung, den Bekundungen der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten konkrete Maßnahmen des Beistandes folgen zu lassen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Ãœber diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden.“
  • Ausgangspunkt für die weltweite Allianz waren die beispiellosen Anschläge auf New York und Washington am 11. September 2001. Der UN-Sicherheitsrat hat am 12. September einstimmig eine Bedrohung des Weltfriedens festgestellt und das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegen diese Bedrohung anerkannt. Die NATO hat, nachdem klar war, daß diese Angriffe von außen, von der aus Afghanistan gesteuerten Al-Qaida-Organisation, durchgeführt wurden, den Bündnisfall festgestellt. Der Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden hat sich inzwischen zu den Terrorangriffen bekannt und weitere Anschläge angekündigt.
  • Bin Laden und ein Teil seiner Anhänger halten sich unter dem Schutz des Taliban-Regimes in Afghanistan auf. Die Taliban lehnen die Ergreifung und Auslieferung Bin Ladens ab. Sie ignorieren die UNO-Resolutionen 1214 (1998), 1267 (1999), 1368 (2001) und 1373 (2001), die sich mit Afghanistan und seiner Rolle als Herbergsstaat und Operationsbasis für international gesuchte Terroristen beschäftigen. Die nicht-militärischen Mittel (diplomatische, wirtschaftliche) zur Durchsetzung der UNO-Forderungen sind, nachdem alles Mögliche versucht wurde, erschöpft. Nach dem 11. September ist nun Gefahr im Verzuge.
  • Ziel der alliierten Militäroperationen ist die Ausschaltung der Terrorbasen, die Ergreifung der terroristischen Anführer und die Beendigung des Taliban-Regimes.
  • Das Taliban-Regime deckt nicht nur das weltweit operierende Terroristen-Netz des Osama Bin Laden, es hat auch die ökonomischen, sozialen und politischen Lebensgrundlagen der eigenen Bevölkerung so massiv zerstört, dass Millionen von Menschen auf die Hilfe von außen angewiesen sind. Afghanistan braucht eine neue Regierung, die dem Terrorismus die Basis entzieht und humanitäre wie wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven für das Land eröffnet. Die Regierung muss eine Legitimität haben, die sie handlungsfähig macht. Wesentliche Parameter einer künftigen afghanischen Regierung sind demnach: breite Basis, repräsentative ethnische Zusammensetzung, insbesondere angemessene Beteiligung der Paschtunen. Die Nordallianz kann allenfalls Teilelement einer künftigen Regierung sein. Die UNO muß eine substantielle Rolle zum Aufbau und zur Stützung im Ãœbergang übernehmen, da sie unabhängig von partikularen Interessen agieren kann. Es darf kein Machtvakuum geben (wie 1992). Dieses Vorgehen erfordert Engagement und Zustimmung sowohl der regionalen Nachbarn als auch der globalen Akteure (insbesondere Pakistan, Indien, Iran, zentralasiatische Staaten, Russland, China, USA, Europa). Die Notwendigkeit einer längerfristigen Wiederaufbau-Perspektive für Afghanistan auch als Verhandlungsinstrument und Anreiz im anstehenden politischen Prozess findet inzwischen sehr breite Unterstützung.
  • Es nützt nichts, „politische“, „militärische“ und „humanitäre“ Ansätze gegeneinander auszuspielen. Alle solchen Bemühungen zur Zeit sind Bestandteil einer internationalen Strategie, die auf eine Lösung für die Zukunft zielt. Diese Lösung kann auch scheitern. Deshalb muß jetzt alles daran gesetzt werden, daß sie gelingt.
  • Deutschland hat, auch mit seiner Präsidentschaft in der „Afghanistan Support Group“, in diesen Wochen die Führungsrolle bei der Organisation der humanitären Hilfe für Afghanistan übernommen. Die Bundesregierung hat mit einer Aufstockung ihrer Hilfsprogramme ein Beispiel gegeben, das die Bereitstellung zusätzlicher Mittel im EU-Rahmen und in mehreren anderen Ländern mit angestoßen hat. Das Problem ist insgesamt nicht so sehr das Geld, sondern der Zugang zu den Flüchtlingen, der zum Teil gezielt von den Taliban behindert wird, z.B. durch den erzwungenen Abzug internationaler Mitarbeiter aus Afghanistan. Der zusätzliche Bedarf der internationalen Organisationen beläuft sich auf 584 Mio. Dollar. Beim Flüchtlingsforum in Genf sind über 700 Mio. Dollar, weit mehr als dieser Betrag, von der Gebergemeinschaft zugesagt worden. Davon kommen allein aus den USA 320 Mio. Dollar.
  • Der Frieden im Nahen Osten ist ein Ziel ganz für sich selbst. Seitdem wir aber die Agitation der Bin-Laden-Gruppe kennen, wissen wir auch: Eine faire Friedenslösung im Nahen Osten wird die Rekrutierungschancen für die fundamentalistisch-islamistischen Terrornetze verringern.
  • Mit ihrer Ãœbernahme von militärischer Verantwortung außerhalb Europas und des Bündnisgebietes geht die Bundesrepublik Deutschland einen Schritt, der zu Recht als „historisch“ bezeichnet wird. Sie nimmt für sich keinen „Sonderweg“ mehr in Anspruch und steht deshalb jetzt „uneingeschränkt“ an der Seite der euroatlantischen Demokratien.