Wer ein stabiles Afghanistan will, muss mehr für den Aufbau, die Sicherheit und einen gemeinsamen Ansatz der internationalen Helfer tun
Warum ist es so schwierig mit Afghanistan? Zum siebten Mal wird der Deutsche Bundestag morgen ein Jahresmandat für den Militäreinsatz am Hindukusch beschließen. Aber die Lage vor Ort ist in der letzten Zeit nicht besser, sondern kritischer geworden. 5000 Kriegstote gab es im vergangenen Jahr, 148 sicherheitsrelevante Vorfälle allein in der vergangenen Kalenderwoche: Schusswechsel, Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Mörser- und Raketenbeschuss. Das Land kommt nicht zur Ruhe.
Dafür gibt es viele Gründe. Erstens: Der fast 30-jährige Krieg und Bürgerkrieg in Afghanistan hat Sozialbeziehungen und Infrastruktur verwüstet. Viele Menschen halten sich zum Überleben an das Verlässlichste, das ihnen geblieben ist: Familien (und Vetternwirtschaft), Dorfgemeinschaften (und „Warlords“), Stammeszugehörigkeit (und Korruption). Der ineffiziente und nichtsnutzige Zentralstaat steht nicht hoch im Kurs.
Zweitens: An der Schwäche Afghanistans haben manche nähere und fernere Nachbarn in der Region durchaus ein Interesse, und sie fördern Taliban, al-Kaida und Bürgerkriegsmilizen mit Geld, Ideologie und Terrortraining. Manche glauben, dass auch die USA strategisch daran interessiert sein müssten, sich dauerhaft in Afghanistan einzurichten – gerade wegen der Nachbarn Pakistan, Iran und China.
Drittens: Kabul boomt, aber in der Fläche kommt der Aufbau von Schulen, Straßen, Energie- und Wasserversorgung, Krankenhäusern, einer Landwirtschaft jenseits des Mohnanbaus und der Industrie viel zu schleppend voran. Deutschland gibt viermal so viel Geld für den Bundeswehreinsatz aus wie für zivile Projekte. Dabei ist das eine zu wenig und das andere nicht genug, um Sicherheit für den Aufbau und Sicherheit durch Aufbau zu erreichen.
Viertens: 35 000 Nato-Soldaten sind in Afghanistan als Schutztruppe (Isaf) stationiert, dazu angeblich 10 000 Soldaten in der US-geführten Antiterroroperation Enduring Freedom (OEF). Das sind zusammen etwa so viele internationale Truppen wie 1999 im kleinen Kosovo aufmarschiert sind. Allerdings: Das Kosovo hat eine Million, Afghanistan 30 Millionen Einwohner, von den geografischen Dimensionen nicht zu reden. Die Nato-Spitze fordert mehr Soldaten, offiziell zusätzlich 4000, inoffiziell ein Vielfaches. Aber die meisten Länder, auch Deutschland, bleiben beim Minimalansatz.
Fünftens sind allein für die USA in Afghanistan tätig: Truppen unter Nato-Kommando, Einheiten unter OEF-Kommando, nicht unterstellte nationale Kräfte und Mittel sowie private Sicherheitsfirmen mit der Lizenz zum Waffengebrauch wie Blackwater. Für die Sicherheit im Land sind außerdem zuständig: die bemitleidenswerte afghanische Polizei, die afghanische Armee mit ihren „eingebetteten“ US-Beratern sowie 36 weitere Nato-Truppensteller und Partner. Deshalb gibt es ganz offensichtlich mehr als nur eine Strategie für die Zukunft des Landes. In der Nato halten manche die OEF für kontraproduktiv. Die Amerikaner setzen auf Zuckerbrot und Peitsche und auf die Hegemonie der Supermacht. Sie sagen sich: Viele Köche verderben den Brei – und kochen ihr eigenes Süppchen. Deutschland dagegen will „Soft Power“ sein und beharrt auf einer multilateralen Entscheidungsfindung.
Auch wenn es nicht gut läuft in Afghanistan, mit der internationalen Truppenpräsenz am Hindukusch halten wir und unsere Verbündeten seit 2001 die Probleme von uns fern. Von dort jedenfalls kommt gegenwärtig der Terror nicht zu uns. Das war und bleibt das erste und wichtigste Ziel der Intervention. Wenn wir allerdings den Afghanen selbst zu einem besseren, sicheren Leben verhelfen wollen, und wenn wir eines Tages von dort auch wieder abziehen möchten, dann müssen wir in allen Bereichen mehr tun: mehr für den Aufbau, mehr für die Sicherheit und mehr für die Gemeinsamkeit der internationalen Helfer. Der Bundestagsbeschluss zur Verlängerung der Nato-Mission markiert nur das absolute Minimum.
Hans-Peter Bartels ist Mitglied im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags und stellvertretender verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.