Beitrag von Hans-Peter Bartels, MdB in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 14. Januar 1999
Dem Klischee gehen die Bilder nicht aus: Daß Abgeordnete faul sind, zeigen die Fotos und Fernsehschwenks aus alltäglichen Bundestagsdebatten auf den ersten Blick – kaum einer an seinem Arbeitsplatz. Und wie gefräßig zudem die Volksvertreter zulangen, melden die Medien regelmäßig mit kaum verhohlener Häme: Diätenerhöhung! Wieder mal fein selbst bedient.
Was ist zu tun gegen die ewig jungen Vorurteile? Tatsächlich kann allein der Bundestag das Ansehen seiner Arbeit und seiner Mitglieder verbessern. Immer wieder wurden dazu in den vergangenen Jahrzehnten unter der Chiffre „Parlamentsreform“ Vorschläge gemacht und sogar Beschlüsse gefaßt. Die Richtung scheint unstrittig, die Schritte aber sind so winzig, daß sie kaum wahrgenommen werden dürften.
Die schon beschlossene Reduzierung der Volksvertretung von 669 auf 598 Abgeordnete von der Wahl 2002 an wird folgenlos verpuffen. Das Hohe Haus wäre immer noch viel zu groß, fast so kopfstark wie das Europäische Parlament (626), größer als das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten (mit 435 Mitgliedern).
Warum also sollte die Masse der Volksvertreter nicht auf 400 oder gar 300 verkleinert werden? Die Abgeordneten müssen ja nicht alle Politik allein gestalten, und die Bedeutung des Parlaments bemißt sich nicht an seiner Kopfzahl. Im übrigen bleiben uns die konkurrierenden Akteure der politischen Willensbildung erhalten: die Bundesregierung, der Bundesrat, 16 Landesregierungen, die Parteien, die politischen Stiftungen, die Medien, die Verbände.
Und worum müssen unspektakuläre Spezialdebatten vor leeren Reihen im Plenum abgehalten werden, wo nur die Mitglieder des zuständigen Ausschusses hocken, um in öffentlicher Sitzung noch einmal zu Protokoll zu geben, was sie im Fachausschuß schon ausführlich debattiert haben? Das Prinzip sollte umgekehrt werden: Die Ausschüsse beraten grundsätzlich öffentlich – auf besonderen Beschluß ist das nach einem neueren komplizierten und selten angewandten Verfahren schon heute möglich –, und im Plenum werden nicht mehr alle Tagesordnungspunkte, die der Legitimation eines Bundestagsbeschlusses bedürfen, diskutiert, sondern viele nur abgestimmt.
Solche differenzierte Parlamentsöffentlichkeit würde allerdings in Bonn schon an der Raumfrage scheitern. Die Sitzungssäle im Langen Eugen sind viel zu eng. In Berlin, im Alsen-/Luisenblock, sieht es besser aus: Nach den vorliegenden Plänen bekommt dort jeder Saal eine Besuchertribüne.
Nur ein Reformansatz, aber er könnte die erste echte Veränderung im Zeichen der Berliner Republik bewirken: Der Bundestag schrumpft auf Normalmaß und zeigt der Öffentlichkeit, wie er wirklich arbeitet.