Interview mit Hans-Peter Bartels in der Zeitung "Die Welt" am 21.01.2014 über neue Auslandseinsätze, die Bonsai-Bundeswehr und ein militärisches Hauptquartier für Europa
© CreativeCommons/ Wikimedia/ Ferdinand Reus/ ShareAlike 2.0

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Der neue Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist ein erfahrener Sicherheitspolitiker. Als Kieler Bundestagsabgeordneter hat Hans-Peter Bartels, 52, die Marine vor seiner Haustür. Bereits seit 2000 gehört der SPD-Politiker dem Parlamentsgremium an, das sich um die Auslandseinsätze der Bundeswehr, das Verhältnis zu den Verbündeten und nicht zuletzt die Sicherheit Deutschlands kümmert. Bartels will den Ausschuss nach innen „kollegial“ führen – und sich nach außen darum kümmern, Sicherheitspolitik verständlich zu vermitteln. Mit ihren Planungen, die Einsätze der Bundeswehr in Afrika auszuweiten, bietet die Bundesregierung ihm dazu die erste Gelegenheit.

Die Welt:

Herr Bartels, 2014 wird der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu Ende gehen. Wird Afrika die nächste große Herausforderung?

Hans-Peter Bartels:

Zunächst einmal ist Afrika kein Neuland für die Bundeswehr. Deutschland war bereits in den 90er-Jahren in Somalia engagiert. Heute haben wir eine führende Rolle bei der Piraterie-Bekämpfung am Horn von Afrika, wir sind in Mali dabei, in Nord- und Südsudan. Afrika ist also eine Weltregion, in der sich Deutschland – oder präziser: Europa – schon länger kontinuierlich engagiert. Richtig ist, dass diese Herausforderung nicht kleiner wird.

Was ist das deutsche Interesse, sich so intensiv um den Kontinent zu kümmern?

Im politischen Testament von Willy Brandt gibt es dazu einige Sätze. „Wo immer schweres Leid über die Menschen gebracht wird, geht es uns alle an“, heißt es da. Und: „Wer Unrecht lange geschehen lässt, bahnt dem nächsten den Weg.“ Wer beispielsweise auf die Flüchtlingsdramen an der europäischen Südgrenze blickt, wird feststellen, dass diese Aussagen unverändert gültig sind. Es muss also die Politik Deutschlands in Europa sein, den internationalen Organisationen von den UN bis zur EU Mittel zur Verfügung zu stellen, um Frieden möglich zu machen. Wir können nicht nur Zuschauer sein, sondern haben eine eigene Aufgabe, Unrecht einzudämmen – zumal die USA sich in Afrika nicht darum kümmern werden. Die Amerikaner haben ihren Fokus auf andere Weltregionen gerichtet. Also muss es Europa machen.

Gehört zu diesen Mitteln auch die Bundeswehr?

Militär ist für uns Deutsche und für die EU nicht das erste Mittel, sondern Teil einer umfassenden Außen-und Sicherheitspolitik. Manchmal aber ist der Einsatz von Soldaten unvermeidlich.

Die Franzosen haben im Alleingang Soldaten nach Zentralafrika geschickt. Jetzt wollen sie deutsche Unterstützung. Außenminister Steinmeier scheint bereit, Lufttransport zuzusichern. Ist das verantwortbar?

Es ist prinzipiell nötig, dass wir uns in Europa abstimmen. Das ist bei der Zentralafrika-Mission der Franzosen zunächst nicht geschehen: Paris ist unilateral vorgegangen und wollte dann eine Rechnung nach Brüssel schicken. So geht das nicht! Aber nun beraten wir gemeinsam, müssen also auch zu gemeinsamen Schlüssen kommen. Wer sich in Zentralafrika wie genau beteiligt, ist im Detail noch zu klären. Nicht jedes Land muss bei jeder Mission immer im gleichen Umfang mitmachen. Einen Kampfeinsatz der Bundeswehr sehe ich hier nicht, eher logistische Unterstützung.

In Mali kümmert sich die Bundeswehr seit einem Jahr um Lufttransport, Sanität, Ausbildung. Auch dort fordern die im Norden des Landes kämpfenden Franzosen Entlastung.

Wir werden im Norden nicht auf die Franzosen verzichten können. Sie kennen das Land am besten, sprechen die Sprache und sollten deshalb die Federführung behalten. Aber die Franzosen von Schutzaufgaben im Süden zu entlasten, das könnte ein europäischer, ein deutscher Beitrag sein. Das wäre auch ein Zeichen von Bündnissolidarität.

Wird der Bundestag das Mandat im Februar entsprechend anpassen?

Wir können in Mali mit vergleichsweise geringen Mitteln viel für den Staatsaufbau und die Stabilisierung der demokratischen Entwicklung erreichen. Es war ja von Beginn an klar, dass dieser Einsatz länger als ein Jahr dauern wird. Angesichts der insgesamt positiven Lageentwicklung halte ich es für vernünftig, das Mandat zu verlängern – möglicherweise in etwas abgewandelter Ausgestaltung.

Die Bundesregierung argumentiert bezüglich Frankreich widersprüchlich: Ex-Verteidigungsminister de Maizière wirft Frankreich vor, vor allem im nationalen Interesse zu handeln. Außenminister Steinmeier sagt, Deutschland dürfe Frankreich nicht allein lassen. Ja, was denn nun?

Wir haben ein elementares Interesse daran, dass es eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik gibt. Deutschland will keine Alleingänge, auch nicht von seinen Partnern. Aber um die zu vermeiden, müssen wir etwas an der europäischen Sicherheitsarchitektur verändern. Zum Beispiel braucht Europa endlich ein militärisches Hauptquartier. Die Nato hat drei davon, die USA haben sechs, die EU hat keines. Gerhard Schröder, Jacques Chirac, Guy Verhofstadt und Jean-Claude Juncker haben das vor Jahren schon einmal vorgeschlagen. Damit wären wir besser in der Lage, die Entwicklungen in Krisengebieten gemeinsam zu verfolgen, zu bewerten und gegebenenfalls Missionen zu führen.

Erkennen Sie ein strategisches Konzept der Regierung für Afrika?

Die alte Bundesregierung pflegte unser sicherheitspolitisches Engagement damit zu begründen, dass Deutschlands Hilfe von anderen angefordert wurde: von UN, Nato oder EU. Das war rein reaktiv. Lässt man den UN-Sicherheitsrat mal außen vor, dann sind wir aber in allen Bündnissen federführend mit dabei. Also sollten wir zunächst national über unsere Verantwortung reden, ob in Afrika oder anderswo, und die so definierte politische Absicht dann proaktiv in die Bündnisgespräche einbringen.

Wie würden Sie die deutsche Verantwortung in Afrika definieren?

Die Bundeskanzlerin hat ja gelegentlich schon einmal – leider etwas verklausuliert – zum Ausdruck gebracht, dass es uns darum gehen muss, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Wir müssen Partner dazu befähigen, Sicherheitsverantwortung in ihrer Region zu übernehmen. Das können Bündnisse sein wie die Afrikanische Union oder ECOWAS, das können einzelne Staaten sein.

Ist die Bundeswehr dafür richtig aufgestellt? Die Streitkräftereform war auf die Bedürfnisse des Kampfeinsatzes in Afghanistan zugeschnitten.

Ich hätte mir für die Bundeswehrreform gewünscht, dass wir nicht nach der Rasenmähermethode vorgehen und bei allen Fähigkeiten gleich kürzen. Wir haben den Baum namens Bundeswehr auf Bonsai-Format gebracht: Da ist noch alles dran, was zu einem Baum gehört, aber meist in Miniaturausführung. Wir hätten mutiger Schwerpunkte setzen müssen, zum Beispiel beim Lufttransport oder der internationalen Ausbildung. Das sind Fähigkeiten, die Deutschland in Europa einbringen kann und sollte. Aber das ist vergossene Milch. Die neue Verteidigungsministerin muss jetzt wohldosiert nachsteuern und gerade in solchen Teilbereichen auf ausreichende Personal- und Materialausstattung achten.

Das Interview führte Thorsten Jungholt.