I. Politische Ausgangslage
II. Innenpolitische Bilanz
III. Familie
IV. Bildung
V. Äußere Sicherheit

Noch 200 Tage – dann ist Bundestagswahl.

Wir haben drei Wahlziele:

  • Erstens, die SPD wird in Deutschland wieder stärkste Partei.
  • Zweitens, wir gewinnen den Wahlkreis Kiel wieder direkt.
  • Drittens, Gerhard Schröder bleibt Bundeskanzler für weitere vier Jahre.

Das sind die Ziele unseres Wahlkampfes. Komplizierter ist es nicht. Dafür kämpfen wir.

Wir haben seit 1998 viel geschafft, aber es ist auch noch viel zu tun. – Genau so lautete übrigens letztes Jahr der Wahlslogan der wiedergewählten Labour-Regierung in Großbritannien: „A lot done – a lot to do“. Wir stehen mitten in der Arbeit.

I.
Wie ist nun die politische Ausgangslage zum Beginn dieses Wahljahres? Die Antwort lautet, wenn wir ehrlich sind: durchwachsen.

Wir sind nicht zufrieden damit, daß die Arbeitslosigkeit von Januar 1998 bis Januar 2002 nur um eine halbe Million zurückgegangen ist – von 4,8 Millionen auf 4,3 Millionen. Wir wollen die Arbeitslosigkeit deutlicher reduzieren. Aber gerade jetzt steckt die Weltwirtschaft, steckt Europa, steckt Deutschland in einer Rezession. Diese wirtschaftliche Flaute ging letztes Jahr von den USA und Asien aus, wurde durch den 11. September verschärft und läßt natürlich den Exportweltmeister Deutschland nicht unberührt.

Machen wir uns nichts vor: Das Wachstum der Beschäftigung hängt erstens, zweitens und drittens vom Wachstum der Wirtschaft ab – und viertens dann vom Wachstum der Klugheit in der Politik.

Da ist nun einiges geschehen, was der Wirtschaft hilft und derBeschäftigung nützt, Stichworte:

  • Steuersenkung,
  • Stabilisierung der Lohnnebenkosten,
  • Erleichterung befristeter Beschäftigung,
  • Teilzeitgesetz,
  • mehr Geld für die Forschung,
  • das Jugend-Sonderprogramm,
  • Kombilöhne,
  • und neu seit 1. Januar 2002 das Job-Aqtiv-Gesetz, das Arbeitslosen vom ersten Tag ihrer Arbeitslosigkeit an die volle Palette von Umschulung und Arbeitsförderung eröffnet, nicht erst nach sechs Monaten.

Das alles war und ist nicht umsonst: Heute gibt es 1,2 Millionen Erwerbstätige mehr als 1998.

Wenn ich solche Zahlen nenne – 1,2 Millionen Beschäftigte mehr, eine halbe Million Arbeitslose weniger – , dann ist mir völlig klar: Wir brauchen noch mehr Arbeit, noch mehr volle Jobs. Wir brauchen Wachstum.

Aber dieses Wachstum von Wirtschaft und Beschäftigung hat gewiß nicht die CDU/CSU im Gepäck.

Wer hat denn 1998 die höchste Arbeitslosigkeit der Nachkriegsgeschichte zu verantworten gehabt?

Wenn die neuen Herren von der Union auf das kurze Gedächtnis der Bürger setzen, irren sie sich.

Was die Union heute verspricht, sind Luftschlösser, Luftnummern, Luftbuchungen.

  • Laurenz Meyer will die nächsten Steuerreformstufen vorziehen und die Einnahmeausfälle mit mehr Schulden bezahlen.
  • Auch Stoiber findet eine höhere Neuverschuldung gut. Dafür will er die Ökosteuer abschaffen.
  • Und Herr Wulff aus Niedersachsen fordert passenderweise ein Verbot jeder Neuverschuldung als neuen Grundgesetzartikel.

Alles heiße Luft!

Überall wedeln die Unionsleute mit ungedeckten Schecks: Sie versprechen mehr Geld für die Rüstung, mehr für den Transrapid, mehr für die Bauern, mehr für jede flüchtige Stimme. Alles zusammen würde zig Milliarden Euro zusätzlich kosten – das ist Populismus pur. Damit kommen sie in Deutschland nicht durch. Dafür werden wir sorgen!

Gleichzeitig wird dann Hans Eichel lächerlich gemacht, weil er für seinen Konsolidierungskurs kämpft.

Ich will kurz erklären, warum es keine Hexerei ist, bis 2004 die gesamtstaatliche Neuverschuldung auf „nahe null“ zu senken. Das gesamtstaatliche Budget besteht aus vier Elementen:

  • Erstens, der Bundeshaushalt. Da soll die Neuverschuldung 2004 planmäßig auf 10 Milliarden Euro runtergefahren sein.
  • Zweitens, die Haushalte der Sozialversicherungen. Da gibt es, wegen der gesetzlichen Schwankungsreserve, immer einen Ãœberschuß, 2004 mindestens 13 Milliarden Euro; damit wäre das Bundesdefizit mehr als ausgeglichen.
  • Drittens, die Haushalte der Städte und Gemeinden. Die hatten 2001 zusammen deutsch-landweit ein Plus von einer Milliarde Euro.
  • Viertens, die Länderhaushalte. Deren unbekanntes Defizit 2004 ist gegenwärtig der Hauptstreitpunkt. Da stehen jetzt fröhliche Verhandlungen über einen nationalen Stabilitätspakt bevor. Ich bin sicher, Bayern wird am Ende genauso europa- und bundesfreundlich sein, wie Schleswig-Holstein es immer ist.

Dieses gesamtstaatliche Budget soll also 2004 den Vorschriften der Europäischen Union gemäß, bei „nahe null“ angekommen sein. Das ist unsere nationale Aufgabe. Das ist unsere Aufgabe,

  • weil damit der Euro stabil bleibt,
  • und weil es ein Gebot der Gerechtigkeit ist, daß wir unseren Kindern nicht immer mehr Schulden hinterlassen. Diese Gerechtigkeit heißt Generationengerechtigkeit, und sie ist ein Teil dessen, was wir soziale Gerechtigkeit nennen.

Übrigens, die Verpflichtung auf die sog. Maastricht-Kriterien der EU, darunter das mit den Schulden, hat nicht erst unsere sozialdemokratische Regierung erfunden. Den Maastricht-Vertrag von 1992 und den Amsterdamer Vertrag von 1997 haben Kohl und Waigel unterschrieben. Verbindlich. Das sollte Stoiber wissen. Aber Stoiber verspricht jetzt erstmal jedem alles. Gelegentlich verspricht er sich auch selbst – Wie war noch der Umrechnungskurs? Eine Mark gleich zwei Euro? – , und am Ende bleibt ein prägender Eindruck, nämlich: Stoiber eiert!

Ich will unsere Regierung jetzt nicht schönreden. Wir hatten Anfang des Jahres ein paar schwierige Wochen.

  • Das Hickhack um Scharpings Bundeswehr-Airbusse war höchst überflüssig. Das war kein Musterbeispiel für elegante Regierungskunst.
  • Dann die Arbeitsamts-Vermittlungsstatistik. Dazu nur kurz: Wenn es um neue Organisation und neue Verantwortung geht, dann bin ich sehr dafür, daß wir nicht die Beschäftigten in den Arbeitsämtern an den Pranger stellen, sondern daß wir die Treppe von oben kehren. Das tun wir.
  • Schließlich, die V-Leute im NPD-Verbotsverfahren. Wer hätte gedacht, daß so viele Verfassungsschützer die neuen Nazis von innen bewachen? Gelegentlich hörte ich schon den Spruch: „Wenn wir den Verfassungsschutz nicht hätten, dann bräuchten wir ihn nicht…“ Die Kommunistische Partei in den USA soll ja auch damals vornehmlich aus CIA-Leuten bestanden haben. Aber das ist in unserem Fall doch unangemessener Sarkasmus. Es gibt in Deutschland Rechtsextremisten, mehr als genug. Sie verfolgen Ausländer und Andersdenkende und verhöhnen unseren Rechtsstaat. Deshalb meine ich, wir sollten uns nicht beirren lassen. Die NPD ist eine rassistische, fremdenfeindliche, volksverhetzende, antidemokratische, gewaltverherrlichende Partei. Sie gehört verboten!

Trotz aller Schwierigkeiten und auch Unzufriedenheiten – wenn heute die Wähler gefragt werden, ob sie einer anderen Regierung mehr zutrauen würden als unserer, dann sagen sie: Nein. Keine Wechselstimmung. Und wenn gefragt wird, ob Schröder Kanzler bleiben oder der Gegenkandidat es werden soll, dann sagt eine solide Mehrheit: Schröder.

II.
Das sind Grundstimmungen, aber noch keine Mehrheiten bei Wahlen. Deshalb müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten klar machen, noch klarer machen, wofür unsere Regierung steht, was wir geschafft haben und was wir noch vorhaben. Und wir haben tatsächlich mehr geschafft, als uns selbst oft bewußt ist. Unsere Bilanzist wirklich ordentlich.

Wir haben für alle die Steuersätze gesenkt, für Arbeitnehmer und ihre Familien, für die kleineren Personenunternehmen und den Mittelstand, auch für unsere großen deutschen Unternehmen, die am Weltmarkt konkurrieren. Gleichzeitig haben wir 70 verschiedene Steuersubventionen gekürzt und Schlupflöcher gestopft. Unser Steuersystem ist insgesamt gerechter geworden.

Daß es etwa schon sehr übersichtlich sei, will ich ja nicht behaupten. Aber was immer die Union und ihre Verbündeten in den Wirtschaftsverbänden heute schlechtreden mögen: Auch die Wirtschaft hat anerkannt, daß unsere Steuerreform Deutschland voranbringt. Anfang 2001 brachte es das Institut der Deutschen Wirtschaft auf die Formel: „Entlastung auf breiter Front“. Und Anfang 2002, jetzt, sagen die Wirtschaftsforscher, die Steuerreform ist „unterm Strich ein Gewinn“.

Es mag den Konservativen und Liberalen nicht passen, daß ausgerechnet Sozialdemokraten die Steuern senken, aber wir haben es getan und tun es weiter, weil es gut ist für Investitionen und Konsum und gut für Arbeitsplätze in Deutschland.

Steuernsenken“ heißt dann aber auch, daß die Ausgaben des Bundes nicht weiter wachsen dürfen. In den ersten Jahren haben wir die Bundesausgaben sogar leicht reduziert. Das war ein Kraftakt, aber es ging, und es ist der Beginn der Haushaltskonsolidierung in diesem Land. Wenn beides gelingen soll: daß einerseits die Steuersätze sinken und andererseits die Neuverschuldung sinkt, dann muß das öffentliche Geldausgeben sehr viel zielgenauer werden. Der CDU fällt dagegen nichts anderes ein als mehr Ausgaben und neue Schulden. In der Konsequenz heißt das: Stoiber steht für höhere Steuern, entweder heute oder für unsere Kinder. Damit darf er nicht durchkommen!

Wir haben versprochen, den Sozialstaat bezahlbar zu halten, Lohnnebenkosten zu senken und die Rente zukunftssicher zu reformieren. Was war das für eine erbitterte Debatte um das richtigeRentenkonzept! Am Ende stand ein guter Kompromiß – ein Kompromiß zwischen den heute Jungen, deren Beiträge kalkulierbar bleiben, und den heutigen Rentnern, deren Rente stabil bleibt; zwischen Beitragsfinanzierung, Steuerfinanzierung – Stichwort: Ökosteuer – und Kapitaldeckung; ein Kompromiß zwischen SPD und Gewerkschaften; zwischen Bundestag und Bundesrat. Und, oh Wunder, heute steht die neue Rente überhaupt nicht mehr im Streit. Die neue Rente ist durch. Keiner stellt das neue Prinzip, gesetzliche Rente plus geförderte Zusatzvorsorge, mehr in Frage. Es ist eine Reform, die in ihren Grundzügen viele Jahrzehnte halten wird. Und wir haben diese Reform durchgesetzt!

Manchmal höre ich von manchen Genossen oder auch von Kollegen aus der einen oder anderen Gewerkschaft, innovativ sei diese Regierung ja gewesen, aber das mit der sozialen Gerechtigkeit, das hätten wir schrecklich vernachlässigt.

  • Ich sage dann: Was ist mit der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall?
    Dann sagen die: Okay, Lohnfortzahlung, aber sonst?
  • Dann sage ich: Wer hat denn den Kündigungsschutzwiederhergestellt?
    Die: Okay, Kündigungsschutz, aber sonst?
  • Ich: Wer hat das Schlechtwettergeld wieder eingeführt?
    Die: Okay, Schlechtwettergeld, aber sonst?
  • Ich: Wer hat das Wohngeld erhöht und den Mieterschutzverbessert?
    Die: Okay, Wohngeld und Mieterschutz, aber sonst?

Und dann werde ich langsam sauer. Wer hat das Bafög deutlich erhöht und dafür gesorgt, daß wieder mehr Kinder aus einkommensschwachen Haushalten Anspruch auf Förderung haben? Und das alles bei sinkenden Steuersätzen und sinkender Neuverschuldung, weil wir eben auch die Generationengerechtigkeiternst nehmen. Sie ist ein Teil der sozialen Gerechtigkeit, die wir meinen.

Wir haben nicht alles verändert und auch nicht alles besser gemacht. Aber vieles, und vor allem vieles, was gar nicht schick ist, sondern öde, blöde, alte, notwendige Sozialleistungen, haben wir wieder verbessert oder überhaupt erst wieder eingeführt.

Der Sozialstaat ist im Moment nicht groß in Mode. Aber wir sind stolz darauf, daß wir ihn reformieren und verteidigen! Wer soll das denn sonst tun? Doch nicht die Stoibers und Westerwelles! Und mit Verlaub auch nicht die Schlauchs und Müllers. Wenn es darauf ankommt, müssen wir uns um die soziale Gerechtigkeit kümmern, weil es sonst niemand tut. Wir tun es.

Die Bilanz des Guten, worüber zu reden sich lohnt, ist lang. Ich will hier nur noch einige Stichworte nennen:

  • Atomausstieg, tausendmal auf Parteitagen gefordert und beschlossen, große Mehrheit in der Bevölkerung dafür, jetzt amtlich und besiegelt.
  • Zwangsarbeiterentschädigung.
  • Neues Staatsbürgerschaftsrecht.
  • Moderneres Betriebsverfassungsgesetz.

Einiges ist noch unterwegs. Etwa die Gesundheitsreform. Oder das neue Zuwanderungsgesetz. Im Bundestag haben wir es jetzt beschlossen. Ich hoffe, wir bekommen es am 22. März auch durch den Bundesrat. Wir brauchen diesen Erfolg. Wenn das Gesetz jetzt nicht kommt, wird es auch in der nächsten Wahlperiode niemand mehr anfassen. Alle wissen: Wir werden in den nächsten Jahrzehnten Zuwanderung brauchen. Aber Zuwanderung braucht klare Grenzen, klare Kriterien. Sonst kann Integration nicht gelingen. Integration steht an erster Stelle. Je besser sich diejenigen, die schon hier sind in unsere deutsche Gesellschaft integrieren – das heißt: wirklich perfekt unsere Sprache sprechen lernen und damit jede Chance auf alles erwerben –, desto besser werden wir die integrieren können, die noch kommen werden. Die Leitkulturdebatte der Union war grauenhafter Unfug. Bei Konflikten mit der Lebensweise mancher ausländischer Mitbürger wünschen sich allerdings auch unsere Wähler eine klare Vorfahrtsregelung für unsere sozialen Standards: vor allem – das ist vielleicht das wichtigste Beispiel –, was die Rechte der Frauen angeht.

III.
Ein Schwerpunkt unserer Arbeit in dieser ersten Regierungsperiode war die Familienpolitik. Sie wird auch ein Kern unserer Tätigkeit in den nächsten vier Jahren sein. Nicht weil wir gleich selbst so große Pläne gemacht hätten – um ehrlich zu sein, das Verfassungsgericht hat uns gezwungen, weil nämlich die Familienbesteuerung der Kohl-Regierung verfassungswidrig war. Aber jetzt wächst die Einsicht in die Notwendigkeit. Wir haben die Steuerfreibeträge drastisch erhöht und dreimal das Kindergeld. Und es soll weitergehen, bis die Höhe des Kindergeldes für alle und der höchste Steuervorteil für die Besserverdienenden gleich hoch sind – bei gut 200 Euro. Auch das Erziehungsgeld haben wir erhöht und den Elternurlaub („Erziehungszeit“ ) verbessert. Dennoch, das ist erst der Anfang auf dem Weg in eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft.

Es mutet absurd an, daß gegen die heraufziehende vergreisende, kinderarme Gesellschaft neuerdings das Verfassungsgericht Einspruch einlegt mit der Begründung, ohne genügend Nachwuchs könne die Pflegeversicherung auf Dauer nicht funktionieren. Fürwahr, auf längere Sicht wird bei einer Geburtenrate von 1,3 Kindern je zwei Erwachsene hier gar nichts mehr funktionieren. Die Lampen werden nicht mehr weitergegeben, eine nach der anderen erlischt. Unsere Gesellschaft schafft sich selbst ab.

Für die Politik gibt es nur eine Wahl:

  • Alles tun, damit es sich nicht auch noch materiell „rechnet“, die Kindersorgen anderen zu überlassen.
  • Alles tun, damit Mütter und Väter beides verwirklichen können, Kinder- und Berufswunsch.
  • Und gut über Familien reden. Schluß mit der Mama-Papa-Kind-Trauschein-Spießer-Stigmatisierung! Familien sind die Mitte unserer Gesellschaft!

Konkret ist der Staat gefordert, weiter in Betreuung und Erziehung zu investieren:

  • mehr Krippen- und Hortangebote;
  • mehr Ganztagsschulen jeder Schulart;
  • mehr Teilzeitmöglichkeiten für alle;
  • eine „Familienkasse“, die Erziehungsgeld für ein oder zwei Jahre wie Arbeitslosen- oder Krankengeld als Lohnersatzleistung zahlt.

Wie eine familienfreundliche Arbeitsgesellschaft, in der Kinder eine Selbstverständlichkeit sind, aussehen kann, ist in manchennordischen Ländern zu besichtigen,

  • wo schon auf der Fähre dorthin an Spielmöglichkeiten gedacht ist
  • und auch auf der Herrentoilette ein Wickeltisch steht;
  • wo trotz globalem Kapitalismus das Flexibilisierungsgeschwätz sich in Grenzen hält,
  • wo Spitzenpolitiker Erziehungsurlaub nehmen,
  • und Frauen zuweilen schon die Hälfte der Macht erobert haben.

Die da oben sind nicht nur bei PISA Spitze.

IV.
Wenn ich hier schon bei Visionen bin, will ich gleich noch ein paar Worte zur Bildungsdiskussion sagen.

In dem Versuch, modern zu erscheinen, überschlagen sich sozialdemokratische wie konservative Bildungspolitiker heute inBeschleunigungsappellen: Computerkurse im Kindergarten, Englisch in der Grundschule, Abitur nach 12 Jahren, Studium in acht Semestern! Geschwindigkeit wird zu einer neuen Ideologie im Bildungswesen. Tatsächlich spricht nichts dagegen, sinnlose und zeitraubende Formen der Studienorganisation zu bekämpfen. Insgesamt aber gilt: Kinder und Jugendliche lernen nicht allein für die Bedürfnisse eines sich kurzfristig verändernden Arbeitsmarktes. Gerade weil dessen Anforderungen sich ständig wandeln, brauchen Kinder die Zeit für eine gründliche Bildung, Ausbildung und Persönlichkeitsentwicklung, die auch kurzfristigen Moden standhält. Und: Diese Gesellschaft wird älter, die Menschen werden länger arbeiten können und es wenigstens zum Teil auch wollen. Es besteht also kein Anlaß, ausgerechnet in jener Phase Zeit zu sparen, in der am besten, am einfachsten, am konzentriertesten gelernt werden kann.

Im übrigen: Bessere, umfassendere formale Bildung für alle – ein unausweichliches bildungspolitisches Ziel in der „Wissensgesellschaft“ – läßt sich nicht allein dadurch ins Werk setzen, daß man den Lehrern hier und da eine Stunde Mehrarbeit aufbürdet. Vielmehr haben die Eltern einen unhintergehbaren Anteil an den Chancen und Grenzen jedes Unterrichts: Sie müssen dafür sorgen,

  • daß ihr Kind ausgeschlafen ist;
  • daß es vernünftig ernährt wird;
  • daß es lernt, sich zu konzentrieren und sich ruhig und aufmerksam einem Gegenstand zu widmen;
  • daß man Konflikte nicht mit Gewalt löst.

Diese Erziehungsaufgaben gehören vor allem ins Elternhaus, nur in zweiter Linie in die Schule. Es ist nicht Aufgabe der Familien- und Bildungspolitik, Eltern aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten können die Bemühungen der Eltern ergänzen, nicht ersetzen. Die Erziehung von Kindern bleibt vor allem eine private, sie wird auch in Zukunft keine staatliche Aufgabe. –

Alle unsere innenpolitischen Aufgaben erscheinen mir lösbar, nicht in vier Jahren, manche werden auch länger als acht Jahre brauchen. Aber schon im Sommer werden wir, da bin ich zuversichtlich, zum Beispiel bessere Wirtschaftsdaten und bessere Arbeitsmarktzahlen haben. Die Wachstumssignale deuten darauf hin. Und unsere Politik unterstützt den Wachstumstrend. Ich glaube auch, daß vieles, was wir in puncto Gerechtigkeit geleistet haben, noch klarer werden wird, wenn wir im Wahlkampf mit den Gerechtigkeitsexperten von der anderen Seite darüber diskutieren.

V.
Ein Politikbereich aber ist gegenwärtig nahezu unkalkulierbar: Das ist die internationale Politik.

Rot-Grün hat da seit 1998 eine starke Vorstellung abgeliefert. Wir haben Deutschland mit allen Rechten und Pflichten in EU, OSZE, NATO und UNO verankert: Wir gehen keinen Sonderweg mehr, sondern übernehmen Verantwortung, wo wir gebraucht werden; wo das nötig ist, auch militärisch. Die Bundeswehr wird auf die erweiterten Aufgaben hin reformiert und ausgerüstet. Und sie bewährt sich, oft an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, auf dem Balkan, vor der Küste Afrikas und in Afghanistan wirklich hervorragend.

Aber spätestens seit dem 11. September wissen wir um die neuen Gefahren unserer Zeit:

  • Terror, der aus heiterem Himmel kommt und überall zu jeder Zeit angreifen kann.
  • Und Massenvernichtungswaffen – atomar, biologisch, chemisch – in der Hand von Despoten, die das Teufelszeug vielleicht auch an totalitäre Terrortrupps weiterreichen.

Bundespräsident Johannes Rau hat recht: Es darf für uns auf der Welt keine Zonen der Indifferenz mehr geben. Wir müssen Position beziehen.

Die Beendigung des terrorfreundlichen Taliban-Regimes inAfghanistan und der anschließende Friedensprozeß sind ermutigende Beweise dafür, daß die internationale Gemeinschaft handeln kann. Und sie muß, wenn sie kann. Am besten gemeinsam.

Ich war gerade zwei Wochen auf politischer Reise in den USA. Ich würde sagen, ich bin ein Freund Amerikas. Und weil ich Amerika so gern mag, möchte ich nicht so gern, daß die Amerikaner glauben, sie müssten allein durch die Welt gehen. Sie müssen es nicht. Und sie sollten es nicht. Amerikanischer Unilateralismus wäre ein wackeliges Fundament für eine neue Weltordnung.

Kein Zweifel, Saddam Hussein ist ein schrecklicher Diktator und Mörder am eigenen Volk.

Und trotzdem weiß ich nicht, ob es eine gute Idee ist, jetzt einen weiteren Golfkrieg vorzubereiten. Vor allem nämlich weiß wie beim ersten Golfkrieg niemand, was danach kommen soll. Wie sähe ein Frieden nach dem Krieg aus? Gäbe es ein neues Gesamtkurdistan, einschließlich Südtürkei? Mullahs in Bagdad? Irak als UNO-Protektorat? Der Nahe und der Mittlere Osten stecken voller Pulverfässer.

Unsere schmerzlichen Balkan-Erfahrungen lehren uns, daß es nur eine Chance auf Frieden nach Bürgerkrieg oder Intervention gibt, wenn ein Interventionsziel, eine Nachkriegsordnung wenigstens in Umrissen erkennbar ist. Das Gegenbeispiel heißt übrigens Somalia: kein Ziel, kein Erfolg.

Also, ich warne davor zu glauben, wir lebten in sicheren Zeiten. Deutschland ist rundherum umgeben von Freunden und NATO-Partnern. Aber wir sitzen nicht auf einer Insel der Glückseligen.

  • Deshalb nehmen wir unsere Bündnispflichten und -rechteernst.
  • Deshalb stärken wir Europa. Es ist auch unser Gewicht, das dadurch größer wird.
  • Und deshalb arbeiten wir an einer Welt, in der eines Tages alle Konflikte so ausgetragen werden, wie es bei uns zu Hause sein soll: friedlich, demokratisch, fair.

In einem der think-tanks, die ich auf meiner Amerika-Reise besuchen konnte, traf ich auf eine sympathische Wissenschaftlerin, die sehr knapp, klar und korrekt auf den Punkt gebracht hat, was die freie Welt jetzt tun muß:

  • Erstens, die Terroristen aufspüren.
  • Zweitens, ihnen die Unterstützung von Staaten entziehen.
  • Drittens, den armen Ländern helfen.
  • Und viertens, die Köpfe und Herzen der Welt gewinnen.

Komplizierter ist es nicht. Man muß es nur tun. Alles gleichzeitig. Und gemeinsam.

Zwischendurch findet am 22. September 2002 die Bundestagswahlstatt.

Wenn nichts dazwischen kommt, werden wir sie gewinnen.