Russland sei vom verlässlichen Partner der Nato zu einer „völlig unberechenbaren Größe“ geworden, sagte Hans-Peter Bartels (SPD), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, im DLF. Putin habe in „atemberaubender Geschwindigkeit“ eine besondere Partnerschaft zerstört. Die Forderung baltischer Nato-Staaten nach Unterstützung sei deshalb verständlich.
Noch könne man mit Blick auf Russland nicht von einem militärischen Gegner sprechen, betonte Bartels jedoch. Verständlich sei aber angesichts der aktuellen Situation, dass die baltischen Staaten ein besonderes Sicherheitsinteresse hätten. Durch Stationierungen und Truppenübungen wolle die Nato deshalb ihrer Verantwortung an der Ostgrenze des Verteidigungsbündnisses nachkommen.
Die Idee einer schnellen Eingreiftruppe begrüßte Bartels. Dadurch könne man in Krisensituationen deutlich schneller reagieren. Denn: „Nato darf sich nicht als Papiertiger verkaufen.“
Die Waffenlieferungen an die Kurden im Kampf gegen die Terrormiliz „IS“ will Bartels bei der heutigen Abstimmung im Bundestag unterstützen. Jetzt gehe es darum, schnell zu helfen, besonders mit Blick auf die vielen Flüchtlinge.
Das Interview mit Hans-Peter Bartels in voller Länge:
Friedbert Meurer: 1989 ist das Jahr, in dem der Kalte Krieg zu Ende ging. Die NATO und Russland gründeten eine Partnerschaft. Von der ist im Moment nicht viel übrig geblieben. Mitte der Woche wird der NATO-Gipfel in Wales beraten, wie man sich wieder wappnen will gegen Russland. US-Präsident Barack Obama wird auch teilnehmen.
Hans-Peter Bartels ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestags, von der SPD. Guten Morgen, Herr Bartels!
Hans-Peter Bartels: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Ist Russland wieder unser militärischer Gegner?
Bartels: Russland ist kein Gegner, aber Russland ist im Moment eine völlig unberechenbare Größe geworden. Wir hatten eine besondere Partnerschaft zwischen Nato und Russland, wir hatten eine gute Kooperation zwischen der EU und Russland. Das zerstört er mit atemberaubender Geschwindigkeit.
Meurer: Ist von der Partnerschaft also nichts übrig geblieben?
Bartels: Im Moment sieht es so aus, als ob es, wenn man die wiederbeleben wollte und wenn man wieder Vertrauen herstellen wollte, jedenfalls ein sehr, sehr mühseliger Prozess wäre.
Die Sorgen der osteuropäischen Nato-Mitglieder „ernst nehmen“
Meurer: Muss sich die Nato in Mittel- und Osteuropa neu aufstellen? Wir haben ja eben das eine oder andere Beispiel und den einen oder anderen Vorschlag gehört.
Bartels: Dass die osteuropäischen Nato-Mitglieder, die besonders exponierten ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten, die jetzt der Nato angehören, mit Russland besondere Erfahrungen gemacht haben, ist, glaube ich, bei uns nicht immer jedem bekannt. Polen, die baltischen Staaten haben nach dem Hitler-Stalin-Pakt zum Beispiel genau das erlebt, was jetzt die Krim erlebte, nämlich Besetzung, Abstimmung und Angliederung damals an die Sowjetunion. Die Besorgnisse dort sind ernst zu nehmen und wir müssen versuchen, jedenfalls das Sicherheitsgefühl dort relativ kurzfristig zu verbessern. Das geschieht mit gemeinsamen Übungen, mit symbolischer Truppenstationierung, denn es geht hier nicht um substanzielle Kampftruppen, sondern um Truppen in Kompaniestärke aus den USA, möglicherweise auch aus anderen Ländern. Wenn das so käme, nehme ich an, dass man sich in der Nato darauf einigt, daraus einen Mechanismus zu machen. Dann wird auch Deutschland sich daran beteiligen, aber eben in symbolischer Stärke.
Meurer: Genau, und das ist den Balten oder Polen zu wenig. Warum nicht mehr als nur symbolische Truppen?
Bartels: Noch gilt die Nato-Russland-Grundakte, und die besagt, dass wir, dass die Nato in den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes keine Kampftruppen stationiert. „No substantial combat forces“ heißt es im Vertrag, und wir sollten den nicht brechen.
Meurer: In der Ukraine sind – da gibt es zumindest viele Hinweise dafür – russische reguläre Einheiten eingedrungen. Was soll den baltischen Staaten mit ihren großen russischen Minderheiten denn Sicherheit geben, wenn nicht die Nato?
Bartels: Eben! Sie sind ja Mitglied in der Nato. Das ist die beste Rückversicherung, die sie haben können. Sie sind auch Mitglied in der EU, aber sie sind in einer geographisch exponierten Lage und sie haben diese russischen Minderheiten. Insofern haben sie ein besonderes Sicherheitsbedürfnis und ich glaube, das wird zum Beispiel durch Besuche der Bundeskanzlerin oder des amerikanischen Präsidenten und durch die Erklärungen der besonderen Bedeutung kollektiver Verteidigung immer wieder unterstrichen. Bündnismitgliedschaft ist etwas ganz anderes, als wenn man außerhalb des Bündnisses steht. Für die Ukraine gelten die Regeln des Bündnisses eben nicht. Das ist etwas, was die Ukraine natürlich heute auch schmerzlich spürt. Kollektive Verteidigung gilt innerhalb des Bündnisses.
Meurer: Was halten Sie denn von der Idee, dass es eine Eingreiftruppe geben soll, mit der binnen Stunden 4.000 Mann nach Osteuropa verlegt werden können?
Bartels: Oder wohin auch immer. Dass die Nato reaktionsfähiger wird, als sie das mit ihrer großen Nato Response Force mit bis zu 60.000 Soldaten, die innerhalb eines halben Jahres mobilisiert werden können, dass sie da reaktionsschneller sein möchte mit einer kleineren Truppe, ist ganz vernünftig. Ich habe mich bisher schon gewundert, wie man mit diesen unglaublich langen Reaktionszeiten Eindruck machen wollte. Die Nato darf sich auch nicht als Papiertiger verkaufen. Die Nato ist ein militärisches Bündnis, das auch in ganz anderen Szenarien als auf dem Balkan, wo man 15 Jahre lang sozusagen lang Kontingente abwechselt, sich präsentieren muss und dabei den Eindruck einer starken Militärallianz machen muss.
Meurer: Aber Sie sagen, das hätte nichts mit Russland zu tun, diese Eingreiftruppe.
Bartels: In dieser Situation natürlich schon. Das ist der Auslöser. Aber so eine schnelle Eingreiftruppe, wenn man sie hat, ist in jedem Fall eine Verbesserung der Fähigkeiten der Nato.
Meurer: Herr Bartels, Topthema in Berlin und bei Ihnen heute vermutlich ist die Sondersitzung des Deutschen Bundestages. Über die will ich natürlich auch mit Ihnen reden. Die Bundesregierung, die Kanzlerin hat sich gestern im Kanzleramt mit einigen Ministern getroffen. Anschließend gab es dann die Liste, welche Waffen geliefert werden sollen. Heute ab 14 Uhr die Sondersitzung des Bundestages. Da gibt es dann auch eine Abstimmung über eine Resolution. Werden Sie selbst für die Waffenlieferungen stimmen?
Bartels: Ich werde das unterstützen, habe das auch in den vergangenen Tagen deutlich gemacht, wie, glaube ich, auch die ganz überwiegende Mehrheit der Abgeordneten unserer Koalition. Es ist eine besondere Lage im Nordirak. Es geht darum, jetzt schnell zu helfen, und es geht darum, denen zu helfen, die sich selbst und die Hunderttausende von Flüchtlingen verteidigen dort.
Meurer: Wie viele in Ihrer Fraktion, glauben Sie, werden dagegen stimmen?
Bartels: Da würde ich keine Prognosen abgeben. Aber es ist in unserer sozialdemokratischen Fraktion wie auch beim christdemokratischen Koalitionspartner zum Beispiel bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr – anderer Fall – aber auch immer so, dass einzelne Abgeordnete anders abstimmen, und das ist ihr gutes Recht.
Meurer: Sie rechnen nur mit Einzelmeinungen höchstens?
Bartels: Ich gehe davon aus, dass es in jedem Fall einzelne Gegenstimmen geben wird. Wie viele das sind, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich glaube schon, dass den allermeisten Kollegen sehr die Dramatik der Situation vor Augen steht.
Meurer: Die erkennt man auch, wenn man sich die Liste anschaut, was alles aus Bundeswehrbeständen geliefert werden soll: 240 Panzerfäuste, 10.000 Handgranaten, 30 Abwehrraketen Typ Milan. Ist es angemessen, dass der Bundestag nur symbolisch darüber abstimmt?
Bartels: Die Außenpolitik ist die Domäne der Regierung. Wir haben einen Anwendungsfall in der Außenpolitik, wo das Parlament sich das Recht reserviert hat zu entscheiden. Das sind Auslandseinsätze der Bundeswehr selbst. Darum geht es hier nicht. Insofern: Hier muss die Bundesregierung entscheiden. Aber da das ein wichtiges politisches Thema ist, haben wir als Parlament natürlich den Anspruch, darüber auch eine Meinung zu beschließen. Es wird heute im Sinne einer politischen Erklärung einen Beschluss des Bundestages geben.
Meurer: Der Bundestag stimmt darüber ab, wenn zwei oder ein Schiff vor das Horn von Afrika geschickt werden soll, und jetzt diese ganze Latte von Waffen. Das ist eine völlig andere Geschichte, da soll das Parlament sich heraushalten?
Bartels: Nein! Das ist ja eine ganz grundsätzliche Frage. Außenpolitik macht in der Regel nicht das Parlament. In einem einzelnen Fall gibt es sozusagen einen anderen Mechanismus, aber hier – sozusagen haben Sie letztlich immer die Möglichkeit, die Regierung auszutauschen, wenn Ihnen die Außenpolitik nicht gefällt. Das kommt gelegentlich in anderen Ländern vor, in Deutschland ist das noch nicht vorgekommen. Wir haben eine Regierung, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügt. Wenn diese Mehrheit etwas ganz anderes wollte, dann würde die Regierung so nicht handeln können.
„Wir werden mit den Kämpfen gegen ISIS nichts zu tun haben“
Meurer: Mir leuchtet aber immer noch nicht so ganz ein, Herr Bartels: Was ist der Unterschied zwischen so vielen Waffen und einer Fregatte vor Afrika?
Bartels: Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Konflikten ist etwas anderes, als die Unterstützung von Menschen in einer Konfliktregion mit Ausrüstung, und insofern ist hier der Bundestag formal nicht gefragt, aber tatsächlich wird er natürlich einen Beschluss fassen.
Meurer: Die SPD, Herr Bartels, ist strikt gegen Soldaten der Bundeswehr im Irak. Wird sich das denn ganz vermeiden lassen?
Bartels: Wir werden mit den Kämpfen gegen ISIS nichts zu tun haben. Es sind jetzt sechs Bundeswehroffiziere in Erbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion, mit Diplomatenstatus dem dortigen Generalkonsulat zugeordnet, um zu sondieren, was wird gebraucht, wie kommt es dahin, möglicherweise auch, die Übergabe zu organisieren.
Meurer: Werden das noch mehr als die sechs?
Bartels: Das vermag ich nicht zu sagen. Wenn, dann kann es sich da um einzelne handeln.
Meurer: Und das fällt für Sie nicht unter Einsatz der Bundeswehr im Ausland?
Bartels: Nein! Wenn nicht die Gefahr besteht, in bewaffnete Konflikte, wie es im Parlamentsbeteiligungsgesetz heißt, einbezogen zu werden, dann muss der Bundestag dazu keinen Beschluss fassen. Etwa auch die Transporte, die Hilfsflüge der Bundeswehr mit Transall-Maschinen, also militärischen Maschinen nach Erbil, waren ja auch nicht mandatspflichtig. Wenn es dazu käme, dass Bundeswehrsoldaten in ein Kampfgebiet müssten, um dort Ausbildung zu machen etwa, dann wäre das ein anderer Fall, aber ich glaube, so wird es nicht organisiert. Wo Ausbildung nötig ist, wird man das wahrscheinlich dann in Deutschland machen. Milan, das Panzerabwehrsystem, ist nicht ganz banal. Das ist nicht mit Gebrauchsanweisung zu bedienen, sondern da braucht man schon eine Einweisung für. Aber wenn das über mehrere Tage geht, dann, glaube ich, wird es in Deutschland oder in einem Drittstaat stattfinden.
Meurer: Hans-Peter Bartels, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, bei uns im Deutschlandfunk. Herr Bartels, danke und auf Wiederhören!
Bartels: Ich danke Ihnen! Tschüss!