Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte bietet eine Gelegenheit, nach Gemeinsamkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland zu suchen. Insofern bin ich dem Kollegen Lamers dankbar, nicht für den von ihm angeregten NATO-Tag, sondern dafür, dass er auf etwas hingewiesen hat, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste, in dieser Debatte aber nicht allen ganz klar war: nämlich dass die NATO in allererster Linie ein Verteidigungsbündnis ist, basierend auf Art. 5 des NATO-Vertrages, der Beistandsverpflichtung. Dies ist ihre erste Aufgabe. Erst dann folgen die Aufgaben, die in den letzten Jahren hinzugekommen sind, Out-of-Area- Einsätze, um in anderen Teilen der Welt unter dem Dach der UNO für Sicherheit zu sorgen, wenn die UNO dafür ihre Legitimation erteilt hat.
Ich weiß nicht, ob der Verteidigungsminister inzwischen wieder hier ist.
(Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär: Ja! Da drüben ist er!)
– Gut, irgendwo ist er also. – Es hat Irritationen darüber gegeben, dass wieder einmal die Frage aufgeworfen wurde: Wann ist der Einsatz militärischer Mittel eigentlich legitim? Zur Durchsetzung nationaler wirtschaftlicher Interessen, die in Konkurrenz zu den Interessen anderer Länder stehen, ist er natürlich nicht legitim. Zu diesem Zweck werden militärische Mittel im 21. Jahrhundert nicht mehr eingesetzt. Das ist auch die Räson unseres Grundgesetzes.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)
Ich will dem Verteidigungsminister nicht unterstellen, dass er Böses meint. Er ist schließlich in der Lage, sich zu korrigieren, wenn er vielleicht etwas Falsches gesagt hat. Dann ist er immer stolz und weist darauf hin, dass es eine Tugend ist, sich korrigieren zu können; vielleicht können Sie das auch in dieser Frage tun. Wenn Sie meinen, dass Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Kraft – weil wir die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sind, weil wir die zweitgrößte Exportnation der Welt sind und weil wir das größte Land in Europa sind – Verantwortung für die Sicherheit in der Welt hat, dann lautet die richtige Argumentation: Weil wir stark sind, haben wir Verantwortung und müssen möglicherweise im Rahmen der NATO und unter dem Dach der UNO auch militärische Mittel einsetzen. Andersherum ist die Argumentation aber auf keinen Fall richtig: Wir dürfen nicht durch den Einsatz militärischer Mittel stark werden wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich möchte auf das NATO-Konzept und die Bundeswehrreform eingehen. Die Debatte, die wir führen, findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern sie ist mit einer Diskussion über die Veränderung der Bundeswehr verbunden. In den letzten 20 Jahren hat die Bundeswehr bereits einige Veränderungen erlebt. Die Zahl der Soldaten ist von 500 000 auf 250 000 halbiert worden. Die Zahl der in Deutschland stationierten Alliierten ist auf weniger als ein Zehntel reduziert worden. Deutschland hat eine gewaltige Veränderung hinter sich. Jetzt steht uns eine weitere Veränderung bevor. Ich würde mir wünschen, dass diese Veränderung in Abstimmung mit unseren europäischen NATO-Partnern vollzogen wird. Es muss verhindert werden, dass viele Staaten gleiche Fähigkeiten, die wir zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht gebrauchen könnten, aufgeben. Wir sehen das gerade bei den Kanadiern, die die Fähigkeiten, die sie aufgegeben haben, wieder neu entwickeln, weil sie sie bei den Einsätzen brauchen.
Wenn wir also neue Konzepte für unsere Bundeswehr entwickeln – andere Länder tun das für ihre Streitkräfte auch –, dann muss das abgestimmt erfolgen. Natürlich kann man auch beim Militär noch effizienter werden und möglicherweise auch einen Sparbeitrag leisten. Dies darf aber nicht gegen die Einsatzfähigkeit und die Sicherheitspolitik gerichtet sein, sondern das muss in Abstimmung mit dem erfolgen, was in der NATO vereinbart wird und in Europa sinnvoll ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Auch in Zukunft bleibt nach dem Grundgesetz die erste Aufgabe der Bundeswehr die Landes- und Bündnisverteidigung; das gilt auch für die NATO. Sie ist nicht nur dann erfolgreich, wenn sie mit möglichst vielen Soldaten im Ausland im Einsatz ist, sondern es kann sein, dass ihr größter Erfolg darin besteht, dass sie nicht eingesetzt werden muss, dass also zum Beispiel in Europa nichts mehr passiert, weil der Einsatz auf dem Balkan erfolgreich war. Das ist ein gutes Beispiel für die Erfolge der NATO und der Bundeswehr: Nachdem wir auf dem Balkan einen langen Atem hatten und es schrecklich begonnen hatte, ist die Situation dort heute stabil. Wir hoffen, dass wir in wenigen Jahren gar nicht mehr von militärischen Mitteln reden müssen, wenn es um den Balkan geht, sondern dass es dann nur noch um den zivilen Auf bau und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union geht.
Die alte Philosophie, dass man Streitkräfte nicht hat, um sie überall in der Welt einzusetzen, sondern dass Streitkräfte kämpfen können müssen, um nicht kämpfen zu müssen, sie also zu haben, um sie nicht einsetzen zu müssen, damit kein Vakuum und keine unstabilen Situationen entstehen, bleibt auch für die neue NATO und für die reformierte Bundeswehr eine Grundkonstante ihrer Sicherheitspolitik.
Lassen Sie mich abschließend einen Aspekt erwähnen, der hier noch gar nicht angesprochen wurde. Ich weiß auch nicht, ob das Konzept der NATO ihn enthält. In dem Papier von Frau Albright und ihrer Kommission spielt er eine wesentliche Rolle. Es geht um den Übergang zu besonderen neuen Fähigkeiten, zu unbemannten, automatisierten Kampfsystemen – UAVs, Kampfdrohnen –, zum Einsatz von Spezialkräften und zum immer häufiger festzustellenden Einsatz von Militärfirmen. Was ist Drohnen, Spezialkräften und Militärfirmen gemeinsam? Die Gemeinsamkeit beim Einsatz solcher Mittel besteht darin, dass dies in der Regel hinter dem Schleier der Nichtöffentlichkeit geschieht. Die neue Strategie der NATO darf nicht darauf abzielen, sich der Öffentlichkeit zu entziehen und neue Formen militärischer Auseinandersetzung zu finden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)
Wir müssen eine Debatte darüber führen, wie Demokratien den Einsatz militärischer Mittel legitimieren können, wenn er notwendig ist. Das kann nicht dadurch geschehen, dass gesagt wird: Die Diskussion muss gar nicht mehr stattfinden; Spezialkräfte sind geheim; von Drohnen bemerkt niemand etwas, und bei den Militärfirmen arbeiten keine Soldaten; sie machen nur ihren Job, der bezahlt wird. – Das kann nicht die Zukunft der NATO und übrigens auch nicht die Zukunft der Bundeswehr sein.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD)