Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 09. März 2007

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch mir wäre es lieber, wenn wir nach fünf Jahren Stabilisierungseinsatz in Afghanistan heute so weit wären, die Truppen zu reduzieren, statt sie verstärken zu müssen. So war es auf dem Balkan. Eine ganze Weile haben wir dort starke Truppenkontingente bereithalten müssen. Heute sieht die Situation hinsichtlich der Truppenstärke folgendermaßen aus: Mazedonien null, Bosnien deutlich reduziert. Im Kosovo gibt es noch eine große Truppenstärke; aber perspektivisch gibt es eine Reduzierung. Eine Reduzierung muss das Ziel sein. Allerdings muss die Lage dies auch zulassen. Es muss das Ziel jedes Auslandseinsatzes der Bundeswehr sein, dass es später auch ohne Militär geht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Einsatz der Soldaten ist kein Selbstzweck. Um ein sicheres Umfeld zu schaffen, das den Wiederaufbau des Staates, den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern erst ermöglicht, brauchen die Menschen in Afghanistan heute die Unterstützung durch die Soldaten der NATO. Würden wir auf diese militärische Absicherung verzichten, könnten wir auch unsere zivilen Hilfen einstellen. Das darf aber keine Alternative sein. Es bringt nichts, die zivile Hilfe gegen die militärische auszuspielen. Wäre keine internationale Schutztruppe im Land, dann würden sich die militanten Taliban-, Haqqani- und Hezb-e-Islami-Gruppen gewiss nicht in Respekt und Hochachtung vor Mädchenschulen, öffentlichen Rundfunkanstalten und Entwicklungsprojekten verbeugen, sondern sie angreifen, vertreiben und zerstören wie vor 2001.

Alle diejenigen, die jetzt darüber reden, dass es an der Zeit sei, den Einsatz der Bundeswehr und der NATO zu beenden, müssen sich fragen lassen, wie es dann in Afghanistan weitergehen würde. Wer würde die vielen hoffnungsvollen Ansätze, die es trotz der schlechten Nachrichten gibt, dann zu einem Erfolg führen? Wir haben den Menschen in diesem Land unsere Hilfe zugesagt. Wir stehen gegenüber der frei gewählten afghanischen Regierung im Wort. Wir wussten, dass es ein längerer Einsatz wird. Wenn wir den Einsatz der Bundeswehr jetzt beenden würden, statt zu unserer Verantwortung zu stehen, wäre alles umsonst gewesen. Dann hätten wir ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jeder – so sagte neulich der afghanische Außenminister Spanta, der auch bei uns im Verteidigungsausschuss zu Gast war –, der gedacht hat: „Fünf Jahre nach dem Fall der Taliban wird das Projekt endgültig ein Erfolgsprojekt“, war sehr naiv. Dr. Spanta sagte dies auf Deutsch. Er hat jahrzehntelang in Deutschland gelebt, nicht freiwillig, sondern im Exil als politisch Verfolgter. Ob er noch Mitglied des Bündnisses 90/Die Grünen ist, weiß ich nicht. Aber er ist ein mutiger Demokrat, der jetzt die Chance hat, um den Aufbau der Demokratie in seiner Heimat zu kämpfen. Dabei kann er sich auf unsere Hilfe verlassen, auch auf die militärische Sicherheit, die heute dazu noch notwendig ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn für Afghanistan gilt wie für viele andere Krisenregionen: Ohne Sicherheit vor gewalttätigen Fanatikern sind alle anderen Probleme erst recht nicht lösbar.

Wir müssen Bedingungen schaffen, die die Arbeit der zivilen Kräfte ohne Bedrohung ermöglichen. Neue Hoffnung wird es nicht geben, solange sich weder die Helfer noch die Bevölkerung einigermaßen sicher fühlen können. Wir haben als Teil der NATO mit unseren Partnern eine gemeinsame Verantwortung für ganz Afghanistan übernommen. Es gibt keine getrennte Sicherheit im Norden und im Süden des Landes. Mit der Bereitstellung der Recce-Tornados leisten wir einen Beitrag zur Stabilisierung der Lage auch in den südlichen Landesteilen.

Ausdruck unseres umfassenden Politikansatzes sind dabei die sogenannten regionalen Wiederaufbauteams. Sie setzen sich aus Soldaten der Bundeswehr zusammen, die Seite an Seite mit Vertretern des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie des Innenministeriums arbeiten. Diesen Ansatz hat sich seit dem Rigaer Gipfel die NATO zu eigen gemacht – einschließlich der USA.

Auch wenn unsere amerikanischen Verbündeten in der Presse gelegentlich mit Kritik an Deutschland zitiert werden, wird unser Engagement durchaus auch in Washington akzeptiert. General Eikenberry, bis zum vergangenen Jahr Oberbefehlshaber der US-Truppen in Afghanistan, lobte bei einer Kongressanhörung ausdrücklich unseren Beitrag und bescheinigte den Deutschen – so berichtet es der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ –, dass sie „sehr gute Arbeit“ leisteten. Das ist übrigens der gleiche General, den die „FAZ“ einige Monate zuvor mit den Worten zitierte: Das effektivste Waffensystem, das wir haben, ist der wirtschaftliche Wiederaufbau. – Das ist richtig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Trotzdem entsteht in unserer Öffentlichkeit manchmal der Eindruck, Deutschland setze hauptsächlich auf das Militär. Das liegt vielleicht auch an unserem Prinzip der Parlamentsarmee. Wir stimmen in diesem Hause ja regelmäßig über die Verlängerung der Einsätze der Bundeswehr ab, nicht jedoch über die zivile Aufbauhilfe. Dank der Beteiligung des Parlaments an den Entsendeentscheidungen steht der militärische Teil unserer Politik immer im Fokus des medialen Interesses. Da entsteht leicht eine etwas verzerrte Wahrnehmung.

(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)

Vielleicht sollten wir das umfangreiche zivile Engagement Deutschlands in den Krisenregionen gelegentlich stärker in den Vordergrund stellen, um dieses Bild zu korrigieren. Viele Projekte, viele engagierte Helfer finden nie den Weg in die Zeitungen und leisten doch im Verborgenen Großartiges und riskieren ihr Leben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Dass die Bundesregierung den Bundestag für den Einsatz der Flugzeuge vom Aufklärungsgeschwader 51 aus Schleswig ausdrücklich um ein neues Mandat bittet, ist sehr zu begrüßen. Zu Beginn der Diskussion haben ja einige argumentiert, dass der Einsatz vom bisherigen Bundestagsbeschluss voll gedeckt sei. Das sehe ich nicht so. Wir nehmen heute quantitativ und qualitativ eine Erweiterung des Mandats vor. Unser heutiges Votum ist auch ein Signal an die neue afghanische Demokratie, dass wir zu unserem Wort stehen und die Stabilisierung des Landes so unterstützen, wie dies notwendig ist.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)

 

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Links

BT-Plenarprotokoll 09.03.2007 – Auszug Rede Bartels

BT-Plenarprotokoll 09.03.2007