Interview mit Hans-Peter Bartels im "Behörden Spiegel" im April 2014
Foto: UN/Aramburu, CC 2.0

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Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Gespräch

Seit Januar ist der langjährige Abgeordnete Dr. Hans-Peter Bartels neuer Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des 18. Deutschen Bundestages. Mit dem SPD-Politiker aus dem Wahlkreis Kiel sprach der Behörden Spiegel über sein neues Amt. Das Interview führte Chefredakteur und Herausgeber R. Uwe Proll.

 

Behörden Spiegel: Herr Dr. Bartels, Sie sind jetzt Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Welche Akzente wollen Sie als Vorsitzender setzen? Auch im Vergleich zu Ihren Vorgängern?

 

Bartels: Zunächst einmal habe ich als Teil der neuen Koalition den Eindruck, dass interessante Aufgaben vor uns liegen, nämlich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik weiterzuentwickeln: Gerade jetzt sehen wir ja eine überraschende Lageveränderung im Osten. Es gibt eine neue Ministerin, das macht den Start der Koalition in diesem Bereich einfacher. In der Rolle des Ausschussvorsitzenden gehört die „Vermittlung von Sicherheitspolitik“ zu den eher neutralen Aufgaben, die ich mir vorgenommen habe. Und für mich persönlich ist ein wesentliches Motiv lange schon, die Europäisierung unserer Streitkräfte voranzutreiben. Die Europäische Armee als Ziel steht nicht mehr nur im SPD-Grundsatzprogramm, sondern jetzt auch im Koalitionsvertrag und sogar im CDU-Wahlprogramm für die Europawahl.

 

Behörden Spiegel: Nun ist ja auffällig, dass seit 1998 die SPD den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses stellt. Hat sich das so ergeben oder ist Verteidigungspolitik für die SPD ein so entscheidendes Thema?

 

Bartels: Ein wesentliches Element sozialdemokratischer Politik ist Friedenspolitik nach außen. Die Bundeswehr ist in der sozialdemokratischen Konzeption ein Teil dieser Friedenspolitik. Da unterscheidet sich die SPD von anderen linken poltischen Kräften. Ein starker Ausdruck des positiven Verhältnisses zu unserer Parlamentsarmee kann der Vorsitz im Verteidigungsausschuss sein. In letzter Zeit ist das doch ganz gut aufgeteilt zwischen den Volksparteien: die einen stellen die Ministerin, die anderen den Ausschussvorsitzenden.

 

Behörden Spiegel: Es gibt ja noch eine Opposition, wenn auch in sehr beschaulichem Umfange. Ist das eher für Sie eine Schwierigkeit, dass es „rein zahlenmäßig“ eine schwache Opposition gibt – auch im Verteidigungsbereich? Die werden ja vielleicht spitzer und aggressiver, weil sie einfach weniger Raum, weniger Zeit zur Verfügung haben.

 

Bartels: Kein grundsätzliches Problem! Wahr ist, dass in unserer Demokratie die Große Koalition die Ausnahme zu sein hat. Eine der beiden großen Parteien regiert, die andere sollte jeweils die Alternative stellen. Die kleineren Parteien allein sind nicht die Alternative zur Regierung, sie brauchen die Koalition mit einer großen Partei zum Regieren. Insofern beobachten wir mit Interesse, wie die beiden aktuellen Oppositionsparteien jetzt schon ihre künftigen Koalitionsmöglichkeiten ausloten. Da geht es auch um ungewöhnliche Farbkombinationen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand Interesse an Fundamentalopposition haben kann. Klar ist in dieser Situation, dass die Diskussion über strittige Themen nicht nur zwischen Regierung und Opposition stattfinden kann, sondern wir müssen auch ein Format finden, wie die beiden Volksparteien miteinander im Parlament offen Diskussionen um wichtige Fragen führen. Natürlich: Wir wollen uns in der Koalition am Ende einigen, aber wir sollten schon gelegentlich die unterschiedlichen Haltungen, die es in der Gesellschaft zu neuen Fragen gibt, zunächst erst einmal sichtbar machen, bevor es einen Konsens oder Kompromiss gibt.

 

Behörden Spiegel: Sie haben 26 zu 6 Stimmen im Verteidigungsausschuss. Gibt es da eventuell mehr Raum für differenzierte Betrachtung auch der zur Regierungskoalition gehörenden Abgeordneten?

 

Bartels: Nach meiner Erfahrung waren die Diskussionen im Verteidigungsausschuss immer sehr sachlich. Dieser Ausschuss hat ja eine Rolle wie sonst kaum ein anderer im Bundestag: Wir machen fast keine Gesetze, pro Jahr vielleicht eins. Bei uns liegt das Schwergewicht sehr stark auf der Kontrolle der Exekutive. Hier erfüllen wir eine alte ganz klassische Parlamentsfunktion.

 

Behörden Spiegel: Nun haben wir ja das, was wir Neuausrichtung der Bundeswehr nennen, in verschiedener Geschwindigkeit und Intensität in den letzten Jahren erlebt. Wenn man, was Sie auch intensiv tun, mit Angehörigen der Bundeswehr redet, dann kriegt man mit, wie gravierend die Veränderungen sind. So ein Prozess muss irgendwann mal zur Ruhe kommen. Welche Rolle kommt da Ihnen beziehungsweise dem Ausschuss zu?

 

Bartels: Das ist zunächst mal eine Frage an die Koalition. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt: keine weitere Bundeswehrreform! Die neue Struktur muss nun wirklich eingenommen werden. Es gab ja seit 1990 mehr „Neuausrichtungen von Grund auf“, als der Bundeswehr gut tat. Aber wir werden uns einzelne Punkte noch einmal anschauen und wo nötig nachsteuern. Dabei kann es um die eine oder andere Stationierungsentscheidung gehen oder auch um Strukturentscheidungen, die von noch offener Rüstungsfragen abhängig sind.

 

Beispiel Eurofighter: Nachdem nun klar ist, dass wir die Tranche 3B, also die letzten 37 Stück nicht nehmen, bleibt zu entscheiden, was mit den Einrollen-Jägern der Tranche 1 wird. Haben wir am Ende drei Eurofighter-Geschwader mit der Gesamtzahl von 108 Flugzeugen? Machen wir dann die Ausbildung in Deutschland oder in Amerika? Es gibt weitere offene Fragen: Was geschieht mit den bestellten, aber in der neuen Struktur nicht abgebildeten Hubschraubern? Das betrifft nicht nur NH90 und Tiger. Es gibt aus der Bundeswehr heraus schon Anpassungsüberlegungen hinsichtlich CH53. Meine Meinung ist, wir brauchen für alle denkbaren UN-, NATO- und EU-Missionen eher mehr als weniger Hubschrauber.

 

Aber wichtig bleibt der Grundsatz: Nicht wieder an jedem Schräubchen drehen, sondern punktuelle Nachsteuerung! Was wirklich absurd war bei den Reformen der Vergangenheit, war diese Vorstellung, man könne die absolut perfekte Organisationsform einer sich nie wieder verändernden Bundeswehr für alle künftigen sicherheitspolitischen Lagen schaffen. Und für diese Fata Morgana sollte es sich angeblich immer wieder lohnen umzuziehen! Ich halte dagegen: Wenn die Aufgabe bleibt und die Dienststellen oder der Verband bleibt, dann sollte nicht wegen scheinbarer Synergievorteile umgezogen werden. Konkret: Wenn eine Flugabwehrraketengruppe weiter gebraucht wird, dann bleibt sie bitte da, wo sie ist – und zieht nicht  an einen Standort um, wo sie ein paar Jahre später aufgelöst wird! Das sind Entscheidungen gewesen zum Geldverbrennen. Davor sollten wir uns in Zukunft hüten.

 

Behörden Spiegel: Muss ich mich im Blick auf die Zukunft, auf neue sicherheitspolitische Herausforderungen vielleicht nicht eher drauf einlassen, flexiblere, mobilere Strukturen zu schaffen?

 

Bartels: Sie müssen schon eine formale Struktur haben, das heißt etwa im Heer: Großverbände für Landes- und Bündnisverteidigung. Es ist auch richtig, dass die Bundeswehr über ein breites Spektrum von Fähigkeiten verfügt – aber nicht jede Fähigkeit in der gleichen quantitativen Ausprägung. Europa setzt zu recht auf „pooling“ und „sharing“. Der alte „Breite vor Tiefe“-Ansatz sollte deshalb nicht mehr ganz so absolut gelten. Ohne Schwerpunktsetzung geht es nicht! Unsere gewissermaßen natürlichen Schwerpunkte sind: gepanzerte Kräfte, Lufttransport, Sanität, U-Boote, bodengebundene Luftverteidigung, Logistik. Das sind deutsche Spezialitäten bei denen wir mehr haben als andere, und das sollten wir erhalten, modernisieren, vielleicht sogar verstärken. Es gibt daneben Bereiche, wo wir überlegen müssen: Wollen wir dort wirklich noch ganz so viel Geld investieren, wie andere das tun? Wir werden zum Beispiel nicht die europäische Nation sein mit den meisten Kampfflugzeugen – selbst mit 140 Eurofightern nicht. Da können auch 108 ausreichend sein. Plus die bewährten 85 Tornados. Andere Nationen leisten in diesem Bereich dafür einen größeren Beitrag. Wir aber sichern substantiell europäische Fähigkeiten im Bereich der Raketenabwehr. So steht es auch im Koalitionsvertrag.

 

Behörden Spiegel: Irgendwie ist das ja auch sofort ein Thema, wo die Industrie auf der Matte steht. Ich erinnere an den jetzt nicht mehr im Amt befindlichen Staatssekretär, der das Thema der deutsch-französischen Kooperation auf die Tagesordnung gesetzt hat, was gleich einen Aufschrei in der mittelständigen Industrie provozierte. Wenn wir eine europäische Strategie verfolgen, dann müssen wir als Deutsche diesen Anteil erbringen. Was können die anderen? Wo können wir da nachsteuern und wo können wir vielleicht sogar die anderen besser zum Zuge kommen lassen, dafür aber unsere Qualitäten steigern? Sie haben die Besonderheiten des Ausschusses genannt. Nirgendswo sind die wirtschaftlichen Interessen so nah. Welche Rolle spielen wirtschaftliche Überlegungen?

 

Bartels: Wir Sozialdemokraten sind für eine aktive Industriepolitik. Aber Voluntarismus hilft nicht weiter. Die Ausrüstungsschwerpunkte der Bundeswehr ergeben sich nicht aus unserer Industriestruktur. Sondern umgekehrt wird es sein. Wenn ich keinen Schwerpunkt mehr habe bei gepanzerten Kräften, dann muss ich nicht über Heeresindustrie in Deutschland reden. Da wir dort aber einen Schwerpunkt behalten wollen, hat die entsprechende deutsche Industrie auch in Europa einen erheblichen Stellenwert. Sogenannte Kernkompetenzen von der Industrie her zu definieren, wäre schwierig und war ja auch in der Vergangenheit ein sehr frustrierendes Projekt.

 

Behörden Spiegel: Jetzt gibt es ja eine Diskussion über die neue Strukturierung auch des Rüstungsbereichs. Da hat es einige personelle Veränderungen im Ministerium gegeben. Es hat die Integration des IT-Amts gegeben, es hat das BAAINBw gegeben, was für die IT als Außenbetrachtung ja nicht so glücklich war, gerade wegen ihrer besonderen Bedeutung jetzt und in Zukunft. Und es ist jetzt eine Agentur in der Diskussion, die man schaffen will. Wie würden Sie sich denn eine ideale Rüstungsstruktur vorstellen?

 

Bartels: Das ist ein Abend füllendes Thema. Und wie immer die neue Organisation aussehen und heißen mag, es wird immer Probleme geben im Rüstungsbereich. Das liegt in der Natur der Sache. Sie besser beherrschbar zu machen, wird die Kunst sein. Ein Teil der Nachsteuerung könnte darin bestehen, die technische Expertise der Bundeswehrbeschaffung nicht weiter zu schwächen, sondern die Wehrtechnischen Dienststellen mit ihrer hohen Kompetenz zu stärken. Und was die Zentrale angeht: Ob Behörde oder Agentur, die Projekte selbst müssen überschaubar und steuerbar bleiben. Die Superkomplexität mancher Rüstungsprojekte ist ein selbst geschaffenes Problem.

 

Behörden Spiegel: Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping hatte seinerzeit gegen den Willen der Ministerialbürokratie maßgebliche Schritte „mit Gewalt“ in der Modernisierung durchgesetzt. Dazu gehören die LH Bw Bekleidung, die BwFuhrparkservice und Herkules, sprich BWI. Halten Sie diese Form von ÖPPs in Zukunft für ausgeschlossen oder für wiederholbar?

 

Bartels: Die Erfahrung lehrt, skeptisch zu sein. Wann immer die Bundeswehr sich verändert, führt das zu zusätzlichem Aufwand in den Verträgen. Also paradoxe Welt: Die Bundeswehr wird kleiner, die Vertragsanpassungen aber machen die Verkleinerung teurer. Die Bundeswehr zahlt Geld für einen Teil von Leistungen, die sie jetzt nicht mehr braucht. Und sie zahlt zusätzliches Geld für neue Leistungen, die bisher nicht vertraglich vereinbart waren. Das sollte man nicht schönreden. Aber trotzdem, manches funktioniert gut.

 

Behörden Spiegel: Das ist der Unterschied zwischen Großbritannien und Deutschland. In Deutschland ist man hingegangen und hat versucht, jeden Streitfall, der irgendwann auftreten könnte, zu regeln, ohne dabei zu berücksichtigen, dass die Gesamtstruktur sich ändert. In Großbritannien regelt man den Rahmen und wenn Probleme auftreten, setzt man sich zusammen und versucht, das innerhalb des Rahmens partnerschaftlich zu lösen. Deswegen funktioniert das dort besser. Bei uns ist das eine Verwaltungsaktion.

 

Bartels: Ja, manche Verträge sind einfach schlecht.

 

Behörden Spiegel: Wenn man mit den Verantwortlichen über Recruiting spricht, kriegt man immer diese Antwort: „Alles im Lot, alles wunderbar.“ Die Ansätze, die die Bundeswehr selber fährt, sind nicht zielführend. Was muss die Bundeswehr ändern, um demnächst nicht ohne oder mit unqualifiziertem Nachwuchs dazustehen? Söldner kriegt man immer auf der Welt, aber das wollen wir ja nicht.

 

Bartels: Der überstürzte Ausstieg aus der Wehpflicht hinterlässt genau dieses Problem. Man hätte sich den Gedanken schon machen müssen: Wie bekommt man in Zukunft Personal? Nun ist die Lücke absehbar und die Hauptfrage für die Bundeswehr lautet heute: Mit welchem Bild vom Dienst in den Streitkräften und vom Einsatz wollen wir werben? Mit Papas frischgebügelten Liebling, der stolz auf Deutschland ist, oder mit dem Kameraden, der sagt: „Unklare Lage? Schwieriges Umfeld? Ok, wir kriegen das trotzdem hin.“

 

Behörden Spiegel: Was muss die Bundeswehr denn ändern, damit sie dieses Problem nicht gegen die Wand fährt?

 

Bartels: Sie braucht jetzt erstens Klarheit in der Frage ihres Leitbildes. Und dann geht es natürlich um das Thema, das die Ministerin schon ganz am Anfang ihrer Amtszeit gesetzt hat: Sind die Bedingungen bei der Bundeswehr als Arbeitgeber so, dass die Streitkräfte konkurrenzfähig und attraktiv sind? Früher war die Planungssicherheit im Soldatenberuf etwas, womit man werben konnte. Das muss nach dieser Bundeswehrreform wieder so sein. Es geht künftig auch um Familienfreundlichkeit. Den Grundbetrieb wird man zum Beispiel schon so organisieren können, dass 48 Stunden, Überstunden gleich eingerechnet, nicht mehr als normal gelten.

 

Behörden Spiegel: Sie haben aber gesagt Familienfreundlichkeit, sprich Arbeit für die jungen Frauen, kinderfreundliche Unterbringung etc., das ist aber nur im Kasernenbetrieb in Deutschland relevant?

 

Bartels: Klar, es gibt keinen familienfreundlichen Auslandseinsatz!