Zu Land, zur See und aus der Luft: Der islamistische Terrorismus, den wir im Westen unter dem Kollektivsingular „Al Qaeda“, das Netzwerk, zusammenfassen, stellt eine Bedrohung dar, wie sie früher nur von hochgerüsteten totalitären Staaten ausging. Es handelt sich – darin sind sich alle demokratischen Kräfte in den USA, in Deutschland und anderswo einig – um eine neue Dimension der Gefahr für Frieden und Freiheit. Die fanatisch-islamischen Selbstmord-Terroristen greifen an mit Speedbooten, gekaperten Passagierjets, Eisenbahnzügen, mit Sprengstoff-Lkws und selbst gebastelten Bomben, die um den Bauch von minderjährigen „Märtyrern“ gebunden sind.
Der alte, Ende des vergangenen Jahrhunderts im zaristischen Russland erfundene Terrorismus der Dynamitwerfer, Bombenleger und Heckenschützen hat als Vorbild ausgedient. Die neuen internationalen Terroristen kämpfen nicht gegen die Obrigkeit im eigenen Land, sondern gegen andere Staaten und Völker. Sie nutzen dabei die unvermeidliche Verwundbarkeit unserer technischen Zivilisation und unserer offenen Gesellschaft. Und sie benutzen die moderne Technik als Vehikel ihrer Explosionslasten – und ihrer Kommunikation.
Sie werden schneller: Die Vorbereitung der Anschläge von New York und Washington nahm mehr als zwei Jahre in Anspruch; der Vorlauf in Madrid beanspruchte, so die nachträglichen Erkenntnisse der Geheimdienste, kaum mehr zwei Wochen. In der Wirkung gleicht der Islamisten-Terror inzwischen eher militärischen Schlägen als Mord und Totschlag im Sinne des Strafgesetzbuches. Und die Möglichkeiten der weiteren Eskalation jenseits des konventionellen Sprengstoffeinsatzes sind absolut absehbar: die Verwendung radiologischen Materials, B- und C-, vielleicht A-Waffeneinsatz, schließlich Anschläge auf die globale elektronische Informations-Infrastruktur – die Amerikaner sprechen vom Cyber-War. Wer wollte ernsthaft behaupten, diese Schreckensvisionen seien unrealistischer als die Zerstörung des World-Trade-Centers durch entführte Boeing-Maschinen?
Die, die sich wehren müssen, haben es mit Angreifern zu tun, die nicht zentral organisiert sind wie damals die RAF, sondern vielmehr einen losen, internationalen Zusammenhang autonomer Gruppen (eher wie weiland die Revolutionären Zellen) bilden. Die politische Auseinandersetzung in Deutschland mit den Gefahren des islamistischen Terrorismus hinkt der tatsächlichen Entwicklung hinterher. Es ist beunruhigend zu sehen, wie sehr die Debatte sich hauptsächlich um Rechtsfragen dreht. Regierung und Opposition neigen dabei zu ritualisierten Polarisierungen: Die Unionsparteien fordern quasi aus Prinzip Grundgesetzänderungen und die Regierungsparteien lehnen diese kategorisch ab. Die politisch interessierte Öffentlichkeit erwartet aber etwas anderes: Sie erwartet, dass sich die großen Parteien recht bald einig werden, wie dieser neuen, brutalen Bedrohung zu begegnen ist. Wo die Demokratie bedroht wird, müssen die Demokraten zusammenrücken; deshalb ist es höchste Zeit für eine gemeinsame Strategie gegen den Terror.
Was wir brauchen, ist eine von Bundestag und Bundesrat gemeinsam eingesetzte parteiübergreifende Kommission unter dem Vorsitz einer namhaften Persönlichkeit des politischen Lebens, die sich mit der Einschätzung der Bedrohungslage befasst, Empfehlungen für notwendige Maßnahmen auf nationaler (und auch auf europäischer und internationaler) Ebene abgibt und sich dann mit der Frage befasst, welche rechtlichen Konsequenzen im einzelnen gegebenenfalls zu ziehen sind. Natürlich muss eine solche Kommission zwischen dem Schutz vor Terror und den bürgerlichen Freiheiten abwägen.
Sie wird sich folgenden Fragen widmen müssen:
- Wie können die bestehenden Defizite in der Aufklärung über den islamistischen Terrorismus innerhalb Deutschlands abgebaut werden? Bedarf es einer neuen Architektur der Nachrichtendienste?
- Wie kann man die in Deutschland ansässigen islamischen Extremisten und hier tätigen militanten Islamistenorganisationen neutralisieren?
- Wie kann erreicht werden, dass ein Maximum an Vorsorge gegen terroristische Angriffe auf „weiche“ Ziele getroffen wird?
- Reichen die bisherigen Instrumente aus, um für den Eintritt extremer Schadensfälle vorbereitet zu sein? Dabei sollten auch Angriffe mit Massenvernichtungswaffen einkalkuliert werden.
Beim Anti-Terror-Kampf hat niemand etwas zu gewinnen, wir alle wollen etwas bewahren – und hätten gemeinsam viel zu verlieren.
Unverzichtbar bleibt zudem die geistige Auseinandersetzung mit totalitären Bedrohungen in jeder Form. Diese offensive, kämpferische Aufarbeitung kann auch von den friedliebenden und vernünftigen Muslimen hier in Deutschland wie in der islamischen Welt erwartet werden. Die „internationalen“ Terroristen haben nicht allein Flugzeuge gekapert, sondern eine ganze Religion. Dagegen können sich die Muslime nur selbst wehren; wir können sie dazu bestenfalls ermutigen.
Die Autoren
Hans-Peter Bartels ist Mitglied der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages mit Wahlkreis in Kiel. Joachim Krause ist geschäftsführender Direktor des Instituts für politische Wissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.