Krisen überall: Russland/Ukraine, IS im Irak und Syrien, Nigeria, Libyen – die Welt, sagt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ist aus den Fugen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 gab es kein anderes Thema als die Reaktion des Westens auf diese angespannte Lage. Prophetisch lesen sich da im Nachhinein die drei Reden von Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Bundesverteidigungsministerin von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 zur Klärung der deutschen Verantwortung in der internationalen Politik. Sie haben eine öffentliche Debatte angestoßen, die bis heute andauert – z.B. auch in Form des nun beginnenden deutschen Weißbuchprozesses zur Sicherheitspolitik.
In der Öffentlichkeit führten diese Impulse aber zunächst eher zu einem Missverständnis: Ein Ende der „Kultur militärischer Zurückhaltung“ wurde in den choreografierten Konferenzauftritt hineininterpretiert. Doch darum ging es den Dreien nicht.
Steinmeiers Kernsatz hieß: „Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen.“ Und was das Militär angeht: „Allerdings darf eine Kultur der Zurückhaltung nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden. Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren.“
Der Bundespräsident formulierte fast wortgleich: „Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen.“ Und: „Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht.“
Bei Ursula von der Leyen schließlich hieß es: „Deutschland ist stark in Europa, aber vor allem ist Deutschland stark durch Europa und durch die Nato. Wir werden dies nie vergessen.“
Dieses Postulat einer selbstbewussten deutschen Außen- und Sicherheitspolitik will nicht hin zu einem kraftmeiernden Militärinterventionismus – tatsächlich sind am Jahresanfang 2015 von den 185.000 Bundeswehrsoldaten so wenige im Ausland eingesetzt wie seit beinah zwanzig Jahren nicht mehr, genau 2.469 -, sondern das jeweils erforderliche deutsche Engagement offen vertreten.
Zu den Lebenslügen vergangener Bundesregierungen gehörte es ja, bei der Frage von Militäreinsätzen stets so zu tun, als werde Deutschland von den Bündnispartnern gegen seinen Willen gefordert und gedrängt. Zu oft haben Verantwortliche hierzulande sich hinter den Bündnissen versteckt, frei nach dem Motto: Wir müssen erst mal sehen, was die Nato oder die EU von uns will. Dabei sitzt Deutschland, als größte EU-Nation und zweitgrößtes Nato-Mitglied bei jeder Bündnisberatung von Anfang an mittendrin, macht Vorschläge und gilt bei der gemeinsamen Positionierung von EU oder Nato als mit ausschlaggebende Stimme. Gegen Deutschland wird nichts beschlossen. Unsere Sicherheitsbündnisse stehen uns nicht fremd gegenüber, sondern wir sind ein starker mitentscheidender Teil von ihnen. So ist tatsächlich auch die Praxis der Beratungen und Verhandlungen dort, aber die Außendarstellung war in der Vergangenheit oft sehr defensiv und verschämt: als ob es uns besonders unangenehm sein müsste, gemeinsam mit unseren Partnern an der einen oder anderen Stelle einen auch militärischen Beitrag zu Frieden und Sicherheit zu leisten.
Wir wollen keinen deutschen Sonderweg für uns in Anspruch nehmen. Wir gestalten mit, nicht großspurig, aber selbstbewusst – und in aller Offenheit. Wir wollen die öffentliche außenpolitische Diskussion nicht vermeiden, sondern führen. Dabei haben gegenwärtig wichtige deutsche Beiträge zur Sicherheit in Europa und der Welt mit Militär rein gar nichts zu tun, so bei der Gesprächs- und Verhandlungsdiplomatie in Sachen Russland/Ukraine-Konflikt.
Aber auch wenn es um die Entsendung deutscher Soldaten in eine internationale Mission geht, lohnt es sich genau hinzuschauen. Es gibt sehr unterschiedliche Typen: Kampfeinsätze (Kosovo 1999, teilweise Afghanistan, Anti-Piraterie), Stabilisierungsmissionen (Balkan), Überwachung (UNIFIL vor der libanesischen Küste, Sudan), Ausbildung (Mali, Somalia, Nordirak), humanitäre Hilfe (Ebola-Einsatz in Westafrika), dazu Bündnisverpflichtungen wie Nato-Air-Policing im Baltikum oder verstärkte Nato-Luftabwehr in der Türkei.
Der differenzierte Blick zeigt, dass längst nicht jede Entsendung von Bundeswehrpersonal ins Ausland eine „ultimo ratio“-Maßnahme ist. Oft kommt es darauf an, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun. So begann die Bündnismission in Mazedonien 2001-2003 genau rechtzeitig, um es gar nicht erst zum Ausbruch von innergesellschaftlichen Feindseligkeiten kommen zu lassen. Und die Stabilisierungsmission KFOR im Kosovo war bereits an dem Tag erfolgreich, als die internationale Truppe mit schwergepanzerter Präsenz im Land komplett aufmarschiert war und jeder sehen konnte, dass das Morden vorbei sein musste.
Einsatz von Militär multinational und unter UN-Mandat, heißt in vielen Fällen gerade nicht: kämpfen, sondern kampfstarke Präsenz oder Abschreckung durch Stärke, um nicht kämpfen zu müssen.
Auch darüber sollten wir sprechen: Dass der Einsatz von Militär ganz unterschiedliche Formen kennt und dass es nach den Erfahrungen unserer Bundeswehr gute Erfolgsgeschichten gibt (Balkan, UNIFIL, Anti-Piraterie …), die wir weiter erzählen sollten.
Und es gibt andere, schwierige Einsatzgeschichten, aus denen wir lernen müssen.