Woher rührt eigentlich Ihr Interesse an der Bundeswehr?
Da kommt einiges zusammen: Der Wahlkreis Kiel mit dem großen Marinestützpunkt und den Werften; die schicksalhafte Rolle des Militärs in der deutschen Geschichte – auch in unserer Kieler Geschichte: der Aufstand der Matrosen, der zur Revolution und zur ersten deutschen Republik führte; und im Zweiten Weltkrieg die 85-prozentige Zerstörung der Stadt; mein eigener Wehrdienst Anfang der Achtziger Jahre; das Studium der Politikwissenschaften und insbesondere der internationalen Beziehungen… Also für den in Kiel gewählten Bundestagsabgeordneten lag es recht nahe, sich im Parlament um einen Sitz im Verteidigungsausschuss zu bemühen.
„Der echte Norden“, also Schleswig-Holstein, hat bei den vergangen Truppenreduzierungen besonders zu leiden gehabt. War das aus Ihrer Sicht ein Fehler? Wo müsste ggf. nachgebessert werden?
Bei der Marine war ja von Peter Struck schon nachgebessert worden. Er hat den Marinestützpunkt Kiel überhaupt erst wieder hergestellt. Den teuren Umzug des MOC von Glücksburg nach Rostock finde ich immer noch etwas fragwürdig, finanziell und militärisch. Und das Kaputtsparen der staatlichen Materialerhaltungskapazität für die Marine, also die Schließung eines von zwei Arsenalbetrieben geht am Ende zu Lasten der Schnelligkeit, der Flexibilität, der Einsatzfähigkeit – und des Haushalts. Über den Unsinn des Umzugs der alten Sea Kings von Holtenau nach Nordholz habe ich schon oft genug geklagt. Struck hatte die vorzeitige Umstationierung 2003 zu Recht abgelehnt, mit der Guttenberg/de Maiziere-Reform gab es dann die Kehrtwende. Auch hier wurde aus meiner Sicht eine schon prekäre Einsatzfähigkeit ohne Not noch weiter erschwert und weiteres Geld verbrannt. Aber das ändert niemand mehr.
Der bisherige Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein, Oberst a.D. Hannes Wendroth, hat bei seiner Verabschiedung das Ende der Wehrpflicht ungewöhnlich deutlich kritisiert. War diese politische Entscheidung auch aus Ihrer Sicht ein Fehler?
Die überstürzte Aussetzung war gewiss ein Fehler. Aber der alte Zustand mit W6 und einer Ausmusterungsquote nahe 50% war auch nicht mehr haltbar. Wir Sozialdemokraten hätten gern das Modell eines freiwilligen Wehrdienstes, anknüpfend an die damals bestehende FWDL-Struktur mit 25.000 Dienstposten, umgesetzt, waren aber in der Opposition.
Kriegsschiffe, die nicht auslaufen, SAR-Hubschrauber, die nicht starten dürfen…Können Sie als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses angesichts der aktuellen Lage guten Gewissens weitere, neue Auslandseinsätze gut heißen?
Unsere laufenden Auslandseinsätze binden zur Zeit so wenig Personal wie lange nicht, aktuell weniger als 2500 Soldatinnen und Soldaten. Zu Spitzenzeiten waren es fast 11.000. Aber richtig ist: Die materielle Einsatzbereitschaft, das nervenzehrende Reform-Hin-und-Her, Personalengpässe in Schlüsselbereichen, das alles erfordert dringend eine strukturelle Nachsteuerung, um nicht für jede neue Aufgabe – und die werden kommen – wieder von Grund auf improvisieren zu müssen.
Die innerdeutsche Katastrophenhilfe durch die Bundeswehr, speziell im „Land zwischen den Meeren“, sprich zwischen den Deichen, ist gleichwohl noch immer ausreichend sichergestellt?
Ja – falls nicht gerade Wochenende ist, wenn es stürmt oder schneit. Wir haben in Husum, Mürwik, Eckernförde, Kiel, Hohn, Jagel, Plön, Eutin und Appen noch jeweils größere Truppenkörper, seien es Verbände, seien es Schule. Und bei Husum ist schweres Pioniergerät vorstationiert.
Besonders in diesem Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Katastrophenfall sind Reservisten (auch oder gerade am Wochenende) von Bedeutung – wie sehen Sie deren Rolle heute und in Zukunft?Als wirksame Ergänzung. Sie ersetzen nicht die Präsenz von aktiver Truppe, aber die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte können verstärken und bei der Schwerpunktbildung helfen. Und die Kreisverbindungskommandos werden natürlich dafür sorgen, dass die Bundeswehr von Anfang an mit den zivilen Verantwortlichen vor Ort gut kooperiert.
Das Interview führte Lars Bessel