Victory-Kapitalismus

Profitcenter Deutschland – der neokapitalistische Machtrausch

 

Die Wirtschafts-Ideologen terrorisieren uns mit ihrem Gerede vom »Abstieg« Deutschlands. Hans-Peter Bartels, MdB, und einer der führenden Köpfe der neuen SPD, hält dagegen – mit einer überraschend modernen Kapitalismuskritik, argumentationsstark, zahlensicher und witzig.

 

Wirtschaft scheint heute alles zu sein. Das marktradikale Denken durchdringt jeden Lebensbereich, vom »Humankapital« in den Familien bis zu den »Profitcentern« der Kirche. Die Verheißung der gepriesenen Diktatur des Kapitals lautet: Wohlstand am Standort Deutschland. Die Drohung an die Ungläubigen: Abstieg und Verelendung. Zwar spürt man überall Unbehagen an diesem „Victory-Kapitalismus“. Doch wer kritisiert die Sieger-Pose der Wirtschafts-Dogmatiker? Die Politik muss endlich heraus aus der Defensive, sie darf nicht länger wie ein Kaninchen auf die großmäulige Schlange angeblicher ökonomischer Sachzwänge starren: Es ist eben nicht jede Steuer zu hoch, jeder Lohn zu teuer und jeder Beamte einer zu viel, wenn es um das gute Zusammenleben einer Gesellschaft geht. Hans-Peter Bartels entlarvt in seinem Buch die Mythen der ökonomistischen Leitideologie. Wie rational entscheiden eigentlich Manager, welche Opfer bringen sie für den Standort? Ist Deutschland, solange es nicht gesund geschrumpft, dereguliert und rundum privatisiert ist, im internationalen Vergleich wirklich das Letzte? Der geistige Führungsanspruch der ökonomischen Elite hält dieser Überprüfung nicht stand. Gleichwohl hat Deutschland Veränderungen zu bewältigen – Globalisierung, Demographie, Wertewandel –, die neue politische Ideen erfordern, aber eben nicht Rezepte aus dem Mülleimer der liberalen Wirtschaftstheorie.

 

Hans-Peter Bartels
Victory-Kapitalismus
Wie eine Ideologie uns entmündigt
230 Seiten
KiWi 872
€ (D) 8,90
€ (A) 9,20
sFr 16,50
ISBN 3-462-03481-2

 

Rezensionen

Klassenkampf von oben
Hans-Martin Lohmann, Die Zeit vom 30. Juni 2005

Die obszöne Geste und das vulgäre Grinsen des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann haben sich dem öffentlichen Gedächtnis tief eingeprägt – als repräsentative Physiognomie einer Klasse, die gewillt ist, den »Standort« Deutschland nach ihrem Gusto neu zu definieren. Das berüchtigte Foto Ackermanns ziert denn auch das Cover vonVictory-Kapitalismus, das aus der Feder eines jüngeren SPD-Bundestagsabgeordneten stammt.

Hans-Peter Bartels lässt erst einmal kräftig Dampf ab gegen die Schrempps, Koppers und Schneiders dieser Republik, die bedenkenlos Milliarden in den Sand setzen (Beispiel Toll Collect), zugleich aber nicht müde werden, den drohenden wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands an die Wand zu malen und der großen Mehrheit der Bevölkerung Verzicht zu predigen – bei märchenhaft hohen eigenen Bezügen und garantierten Abfindungen auch im Misserfolgsfall. Tatsächlich handelt es sich hier um einen verschärften »Klassenkampf von oben«, der Bartels zufolge historisch dadurch begünstigt wird, dass seit dem Ende der Sowjetunion der Kapitalismus alternativlos geworden ist: »Selbst im kommunistischen China haben wir inzwischen mehr unternehmerische Freiheit als in Deutschland.« So der Präsident der Maschinenbaulobby VDMA – der erpresserische Ton ist gewollt.

Bartels’ Polemik richtet sich gegen eine Klasse – und gegen die weithin gleichgeschalteten Medien, die nachbeten, was aus den Chefetagen tönt –, die aus schierem Eigennutz ein Interesse daran hat, die wirtschaftliche Situation Deutschlands schlechter zu reden, als sie tatsächlich ist. Der Autor vertritt die Auffassung und belegt das anhand von Zahlen und Fakten, dass Deutschland, obwohl mit den ökonomischen Folgekosten der Wiedervereinigung enorm belastet, im internationalen Vergleich wesentlich besser dasteht, als gern behauptet wird, wofür nicht zuletzt die deutsche Handelsbilanz spricht. Solange freilich die Schwarzmalerei der Kapitalseite von der Öffentlichkeit für bare Münze genommen wird, kann es sich diese Seite ungestraft erlauben, immer neue Erpressungsmanöver einzuleiten – für niedrigere Unternehmensteuern und Lohndumping, für die Entmachtung der Gewerkschaften und Einschränkung der Mitbestimmung, für den Rückzug des Staates und überhaupt für mehr »Freiheit« des Privateigentums an Produktionsmitteln.

Alles, was das Buch an Fakten und Argumenten aufbietet, ist bekannt. Aber wahrscheinlich ist es notwendig, das Bekannte immer wieder öffentlich laut zu sagen, damit auch der Dümmste begreift, wie wir verschaukelt werden. Was allerdings in Bartels’ flott formuliertem kapitalismuskritischen Pamphlet entschieden zu kurz kommt, ist die Rolle seiner eigenen Partei. Die SPD hat sieben Jahre lang alles dafür getan, dass uns der vom Autor beklagte »Ökonomismus« in einer Weise eingetrichtert wurde, dass einem Hören und Sehen verging. Auch und gerade die SPD hat es zugelassen, dass der Staat seine gesamtgesellschaftliche Steuerungsfunktion zugunsten der Logik des »freien Marktes« eingeschränkt hat. Aber ihr liebedienerisches Werben um die Gunst des Kapitals blieb letztlich erfolglos. Franz Münteferings anklagendes Wort vom »Heuschreckenkapitalismus« kommt jetzt wohl zu spät, um noch zu retten, was nicht zu retten ist: die Regierungsmacht der SPD.

 

Der entfesselte Markt
Ein Abgeordneter kritisiert den Shareholder-Kapitalismus
Johano Strasser, Süddeutsche Zeitung vom 30. Mai 2005

Auf dem Umschlag ein bekanntes Foto: Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, die Hand zum Victory-Zeichen erhoben. Der Abgebildete wird das Buch vermutlich nicht lesen, aber wenn er es läse, könnte es ihn womöglich in seinem Glauben an den allein selig machenden Shareholder-Kapitalismus schwankend machen. Denn der Autor widerlegt Stück für Stück die Legenden, die die Propheten des Marktradikalismus seit Jahren bei uns verbreiten, sachlich, mit genauer Kenntnis der Zusammenhänge und mit überzeugendem Zahlenmaterial.

Es dürfte schwer fallen, diesen Autor in einer jener Schubladen unterzubringen, in die wir hierzulande Kritiker des Neoliberalismus so gern stecken. Er ist kein linker Traditionalist, schon lange kein gläubiger Marxist, auch kein Eiferer der Antiglobalisierungsbewegung, eher ein Vertreter der Schröder-SPD, pragmatisch und unideologisch. Aber er hat sich einen wachen Sinn für die komplexe Realität, auch für die Bedürfnisse und Hoffnungen der Menschen bewahrt. Dieser Realismus ist es, der ihn zum engagierten Kritiker des Shareholder-Kapitalismus macht.

Zugleich ist das Buch aber auch ein Stück Selbstkritik eines Politikers, der seit 1998 als Abgeordneter an der Gestaltung der Politik in Berlin beteiligt ist, der aus nächster Nähe erlebt hat, welche Fehler aus welchen Gründen gemacht wurden, und nun für sich und seine Partei versucht, daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Nüchtern stellt der Autor fest: >>Die Wirtschaft über die Verbesserung von Rahmenbedingungen für das Wirtschaften in Deutschland so zu steuern, dass politische Ziele wie Abbau der Arbeitslosigkeit, Humanisierung von Arbeitsbedingungen oder gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung erreicht werden, diese Wirtschaftspolitik hat nicht funktioniert.<< Die rot-grüne Regierung, so Bartels Befund, hat sich durch die übersteigerten Erwartungen an den entfesselten Markt und die modische Staatsfeindschaft anstecken lassen und auf politische Eingriffe verzichtet, wo allein diese etwas vermocht hätten.

Sein Fazit lautet denn auch ganz unzeitgemäß: >>Was hingegen funktionieren kann, ist das, was die freie Wirtschaft am meisten fürchtet und am aggressivsten bekämpft: der direkte Eingriff, die Staatsintervention.<< Und damit der Staat wieder handlungsfähig wird, muss er auch darauf bestehen, dass in Deutschland wieder mehr Steuern bezahlt werden. Warum sollte bei uns die Erbschaftssteuer nicht so hoch sein dürfen wie in den USA? Warum nicht die Vermögenssteuer wieder einführen, wenn wir so dringend Mittel für Bildung brauchen? Warum nicht eine >>Luxussteuer<< als dritten, höheren Mehrwertsteuersatz? Wer wirklich etwas zur Senkung der Lohnnebenkosten tun wolle, so der Autor, komme um diese Fragen nicht herum. Denn die Lohnnebenkosten könnten nur sinken, wenn künftig Sozialversicherungsbeiträge mehr und mehr durch direkte Steuerfinanzierung ersetzt werden.

Hans-Peter Bartels, Jahrgang 1961, Journalist und SPD-Bundestagsabgeordneter aus Kiel, hat ein klug argumentierendes, immer anschauliches, mutiges und engagiertes, in Teilen erfrischend witziges Buch geschrieben, das den vorherrschenden neoliberalen Zeitgeist als lebensfeme Ideologie entlarvt und ihm eine gut begründete pragmatische Sicht der Dinge entgegenstellt. Wenn die neue SPD auch noch nach diesem Wahlkampf so aussieht, dann ist von ihr doch noch etwas zu erwarten.

 

Gut gelaunter Dritter Weg
Der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels rechnet mit Ackermann und Co. ab – und liefert ein überraschend modernes sozialdemokratisches Programm
Detlef Gürtler, taz Magazin Nr. 7653 vom 30. April 2005

Sozialdemokraten sind Spezialisten für Dritte Wege. Zwischen Kommunismus und Kapitalismus, Revolution und Reaktion, zwischen Bewegung und Stillstand, Versorgungsstaat und Wolfsgesetz, zwischen Schröder und Lafontaine. Derzeit vor allem Letzteres. Hans-Peter Bartels ist Sozialdemokrat. Einer aus der halbwegs jungen Garde der Bundestagsabgeordneten, Mitherausgeber der drittwegigen Berliner Republik, und mit 43 Jahren noch jung genug, um schon mal darüber vorzudenken, wie Sozialdemokratie in der Nach-Schröder-Ära aussehen könnte.

In >>Victory-Kapitalismus<< gelingt ihm das erstaunlich gut. Was vom Verlag als >>überraschend moderne Kapitalismuskritik<< angepriesen wird, ist damit eindeutig unterverkauft. Bartels liefert weit mehr als eine Abrechnung mit Ackermann und Co., nämlich eine überraschend moderne sozialdemokratische Programmatik. Die sieht etwa so aus: Fortschritt (>>nur neue Technik schafft neue Spielräume für sozialen Fortschritt<<) plus Patriotismus, Familie (>>Wer für sozialen Fortschritt kämpfen will, muss Kinder haben<<) plus Luxussteuer. Und weil die Wirtschaft auch einer Politik, die beflissen vor der Macht des Kapitals buckelt, einen Fußtritt nach dem anderen versetzt, sollte diese das Rückgrat wieder gerade machen und das Primat der Politik wiederherstellen. >>In Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es erstaunlicherweise nicht: Alle Staatsgewalt geht vom Markte aus. Da steht, weil es ja offensichtlich nicht für jeden selbstverständlich ist: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.<<

Die ebenso freche wie plausible Übersetzung dieses Primats der Politik in praktische Ökonomie ist Bartels Forderung nach mehr Staatsinterventionismus: Die >>Globalsteuerung<< der Volkswirtschaft von Karl Schiller selig funktioniere in Zeiten der Globalisierung immer weniger. >>Was hingegen funktionieren kann, ist das, was die freie Wirtschaft am meisten fürchtet und am aggressivsten bekämpft: der direkte Eingriff, die Staatsintervention. Das muss und kann ablaufen wie beim Einsatz von Militär: ein klares Ziel, schlüssige Planung, präzise kalkulierter Einsatz der Mittel, konsequente Durchführung.<< Da hat der Kapitalist wenigstens wieder einen Grund, die Sozis zu hassen.

Trotz seiner etwas martialischen Wortwahl bietet Bartels insgesamt eine gut gelaunte, sowohl wahlkampf- wie praxistaugliche Argumentation entlang des Dritten Wegs zwischen Attac und Agenda 2010. Nur für Globalisierung und Gewerkschaften fällt ihm noch nicht so recht etwas ein – aber man kann ja auch nicht alles auf einmal verlangen.

Den einzigen programmatischen Ausrutscher leistet sich Bartels bei der Demografie. Denn genau den gleichen Fortschrittsfeinden, mit denen er in seiner Kritik des Marktliberalismus abgerechnet hat, den verkniffenen Verzichtspredigern wie Konrad Adam (Die Welt) oder Bernd Ulrich (Die Zeit), geht der sonst so fröhliche Bundestagsabgeordnete aus Kiel hier auf den Leim. Gruselt sich vor aussterbenden Deutschen, und wünscht sich eine >>dauerhafte, kostspielige, leidenschaftliche Politik zur Förderung von Eltern und Kindern<< – dabei passen Gebärprämie und Mutterkreuz zu gar keinem Dritten Weg.

Um tatsächlich einen gangbaren Dritten Weg zu bahnen, sei Hans-Peter Bartels allerdings auch eine Politik des Dritten Mediums empfohlen. Es mag ja verständlich sein, dass sich seine Lektüre in zwei Druckerzeugnissen erschöpft: der Berliner Republik (die gibt er mit heraus) und der Zeit. Beide Medien zusammen bringen es locker auf eine Zweidrittelmehrheit der Zitate im Victory-Kapitalismus. Aber sogar Kanzler Schröder leistet sich drei Leitmedien, nämlich Bild, BamS und Glotze.