Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 16. Mai 2013 im Rahmen der Debatte zur Regierungserklärung des Verteidigungsministers zu TOP "Neuausrichtung der Bundeswehr - Stand und Perspektiven"

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält jetzt der Kollege Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg ein Wort zur Euro-Hawk-Debatte: Es ist schon bemerkenswert, dass am Mittwoch vergangener Woche im Kabinett ein Bericht zu den 30 Hauptwaffensystemen der Bundeswehr vorgelegt wurde –

(Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Mit den Obergrenzen für die Waffen! Mit den gebilligten Obergrenzen! Nicht das, was bestellt wird!)

– ja, ja -, die strukturrelevant sind. Dieser Bericht enthält Obergrenzen hinsichtlich der Anzahl der Panzer und der geschützten Fahrzeuge; vorgesehen waren auch fünf Euro Hawk und vier Global Hawk. Zwei Tage später, am Freitag, entscheidet ein Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, dass die beiden Hauptwaffensysteme Euro Hawk und Global Hawk aus diesem Bericht herausgestrichen werden. Es ist schon bemerkenswert, wer das entscheidet.

(Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Sie werden nicht herausgestrichen! Es sind die Obergrenzen! Sie haben den Text nicht gelesen!)

– Herr Präsident, Herr Brandl ruft dazwischen. Geben Sie ihm Redezeit?

Präsident Dr. Norbert Lammert: 

Da Sie dem Haus nicht erst seit gestern angehören, sollten Sie mit Zwischenrufen als gelegentlichen parlamentarischen Übungen hinreichend vertraut sein.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 

Wenn Herr Brandl eine Zwischenfrage stellt, habe ich mehr Redezeit. Das wäre besser.

(Abg. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Jetzt will er eine Zwischenfrage stellen. Da eine Zwischenfrage meine Redezeit verlängert, bin ich einverstanden.

Präsident Dr. Norbert Lammert: 

Wenn ich dem zustimme, was ich ausnahmsweise tue. Bitte schön.

(Heiterkeit)

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): 

Herr Kollege Bartels, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Tabelle, die Sie zitiert haben, die Überschrift trägt: „gebilligte Obergrenzen“? Es geht um Obergrenzen, die vom Minister gebilligt worden sind. Es geht also nicht um etwas, was endgültig beschafft wird.

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): 

Die Ãœberschrift dieser Tabelle lautet: „Strukturrelevante Hauptwaffensysteme der Streitkräfte“. Sie befindet sich auf Seite 24 des vom Kabinett gebilligten Berichts über die Neuorganisation der Bundeswehr. Ich bemerke, dass zwei Tage später ein Staatssekretär zwei dieser Hauptwaffensysteme aus der Tabelle herausstreicht. Es ist wohl mit einer gewissen Absicht geschehen, dass es der Staatssekretär und nicht der Minister war, der dies getan hat. Der Minister hat das Wort „Euro Hawk“ auch heute nicht in den Mund genommen. Das Problem, das Ihr Haus hat, ist, dass Sie seit zwei Jahren wissen, dass es gravierende Probleme bei diesen Hauptwaffensystemen der Bundeswehr gibt, und dass Sie den Bundestag nicht darüber unterrichtet haben und sich zweimal über den Haushalt weiteres Geld dafür haben beschließen lassen. Wir als Bundestagsabgeordnete wissen darüber nichts. Wir bekommen es erst auf Nachfrage mit, und dann sagen Sie: Jetzt ziehen wir die Reißleine. – So geht es nicht! Das Verhältnis von Parlament und Ministerium muss anders gestaltet werden. Das ist kein vertrauensvolles Miteinander-Umgehen. Sie haben die Verantwortung dafür, dass das Parlament über zwei Jahre getäuscht worden ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

Ihre Bundeswehrreform, Herr Minister, steht unter keinem guten Stern. Sie haben noch einmal eine rein nationale Reform versucht. Das ist altes Denken. Wir Europäer stehen in den gleichen Auslandseinsätzen – auf dem Balkan, in Afghanistan, in Afrika und auf hoher See. Wir vertreten die gleichen Werte. Wir haben in Europa manche alten Strukturen. Wir alle beschließen Sparhaushalte, auch für das nationale Militär. Deshalb wäre es besser gewesen, vorher mit den Briten, den Franzosen, den Italienern, den Spaniern, den Polen darüber zu reden: Wer will wo Schwerpunkte setzen, und was kann man gemeinsam organisieren?

Stattdessen hat der Verteidigungsminister erst im April in einem Interview mit dem britischen Guardian beteuert, er wolle ausdrücklich keine europäische Armee. Das scheint er für eine Art sozialdemokratisches Hirngespinst zu halten. Aber wie, um Gottes willen, ist dann diese gefährliche SPD-Politik in Ihren schwarz-gelben Koalitionsvertrag geraten?

(Heiterkeit bei der SPD)

Dort steht nämlich das Ziel einer europäischen Armee. Oktober 2009! Da steht ausdrücklich: „Langfristiges Ziel bleibt für uns der Aufbau einer europäischen Armee“, übrigens „unter voller parlamentarischer Kontrolle“; das steht da auch. Recht haben Sie, vollkommen recht! Das ist ganz und gar die Meinung der deutschen Sozialdemokratie. Das darf man aber nicht nur aufschreiben; das muss man auch machen. Man muss Schritte auf dieses langfristige Ziel zu machen, wenn man es denn ernst meint. Aber Ihnen ist es nicht wirklich ernst damit, Herr Minister; siehe Guardian-Interview.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Omid Nouripour (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN))

Wieso machen Sie ein Geschäft mit der bayerischen Hubschrauberindustrie, nachdem die Ihnen nun 25 Prozent weniger Hubschrauber liefert, der Bund bei der Beschaffung aber nur 2 Prozent vom Vertragsvolumen spart? Das klingt wie ein ganz besonders schlechtes Geschäft. Warum lassen Sie die überzähligen Tiger und NH90 nicht bauen und verkaufen sie zum Freundschaftspreis weiter an EU-Partner, die ihre Streitkräfte auch gerade modernisieren? Das wäre gut für die Partner, gut für die Standardisierung in Europa, gut für die Ausbildung und Instandhaltung, die man in Europa gemeinsam machen könnte, gut also auch für Europa, und ein bisschen Geld hätte es auch gebracht, jedenfalls mehr als 2 Prozent Ersparnis, für die Sie persönlich so kraftvoll mit Herrn Enders von EADS verhandelt haben. Wenn es Ihr mitgebrachter Staatssekretär gewesen sein sollte, der Sie da so schlecht beraten hat, dann wechseln Sie ihn aus! Er ist zu teuer für Sie und zu teuer für unsere Bundeswehr. Es ist der gleiche, der das Drohnen-Desaster zu verantworten hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Ihr langfristiges Reformziel eine europäische Armee ist, dann hat dieses Ziel bei dieser Reform erkennbar keine Rolle gespielt. Wenn das Ziel gewesen sein sollte, Geld zu sparen – das war der Ausgangspunkt bei Minister zu Guttenberg; wir erinnern uns: die Schuldenbremse als höchster strategischer Parameter der Bundeswehrreform -, wenn es also ums Sparen gegangen sein sollte, dann ist es damit auch wieder nichts. Fehlanzeige! Wir schauen auf die Haushaltszahlen: Sie steigen. Wohlgemerkt: Wir kritisieren nicht die steigenden Zahlen – das hatten wir Ihnen vorhergesagt -; wir kritisieren die Politik der dröhnenden Ankündigungen – 8,3 Milliarden Euro sollten eingespart werden -, die man hinterher stillschweigend wieder einkassiert. Das ist es, was die Öffentlichkeit als schlechtes Reformmanagement wahrnimmt.

(Beifall bei der SPD)

Hören Sie auf mit den Tricks, die es so aussehen lassen sollen, als würde doch kräftig gespart! In Wirklichkeit werden nur Kostenblöcke verschoben. Das passt nicht zu Ihrem seriösen Image, Herr Minister. Wenn 2 500 Zivilbeschäftigte aus dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministers in die nachgeordneten Bereiche des Innenministers und des Finanzministers outgesourct werden mit der gleichen Aufgabe, nämlich für die gleiche Bundeswehr Bezüge und Beihilfen zu berechnen und Dienstreisen abzurechnen, nur hinter einem anderen Türschild, dann ist das nahe an haushaltspolitischer Täuschung. Es spart nicht. Im Gegenteil: Ihre eigenen Fachleute geben zu, dass sogar noch Zusatzkosten für neue IT anfallen. Wir lehnen diese Verstöße gegen den Grundsatz von Haushaltswahrheit und -klarheit ab.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich gesagt, nicht verstanden, warum diese fünfte Bundeswehrreform innerhalb von 20 Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges noch einmal mit diesem großen Pathos des ganz Neuen, endlich einmal vernünftig Durchdachten, objektiv Richtigen angepriesen wurde. Eine Nummer kleiner hätte es vielleicht auch getan.

Es war bisher nicht alles Murks, und es wird in Zukunft nicht alles Gold. Man muss nicht an jedem Schräubchen drehen, nur weil man es kann. Dass so viele Soldatinnen und Soldaten, so viele Zivilbeschäftigte heute immer noch nicht wissen, wie es mit ihrer beruflichen Zukunft weitergeht, das ist kein Zufall, das ist kein Versehen; das ist strukturell so gewollt.

Minister de Maizière hat selbst immer wieder die Metapher benutzt, er wolle die Treppe von oben kehren, also mit den Veränderungen oben anfangen. So läuft das jetzt auch ab. Das heißt für viele an der breiten Basis, in den Bataillonen und Dienststellen: Sie werden die Letzten sein, die Sicherheit über Dienstposten und die eigene Verwendung haben. Wenn dieses personalwirtschaftliche Prinzip „die Treppe von oben kehren“ ein Experiment gewesen sein sollte, dann würde ich empfehlen, es als gescheitert zu betrachten. Es hat sich nicht bewährt.

Drei Jahre nach Ausrufung der neuen Reform durch Minister zu Guttenberg herrschen immer noch Unsicherheit und Unbehagen bei den meisten Reformbetroffenen vor. Der BundeswehrVerband hat das mit seinen Umfragen eindrucksvoll bestätigt. Das Bild vom Burn-out der Bundeswehr, mit dem Oberst Kirsch die Lage gekennzeichnet hat, ist sehr treffend. Deshalb werden wir Sozialdemokraten diese Reform nicht wieder komplett umkrempeln, wenn die Regierung wechselt. Manches ist ausgezeichnet gelungen und sollte von Dauer sein: Das Heeresmodell der sechs Standardbrigaden ist gut, ebenso das Festhalten am gepanzerten Kern.

Zum Schluss noch ein Wort zur Amtsführung des Ministers, der diese Reform zu verantworten hat. Es gab viele Vorschusslorbeeren

(Volker Kauder (CDU/CSU): Zu Recht!)

und auch weithin anerkannte Verdienste aus der Zeit der vorherigen Regierung. Thomas de Maizière ist in jeder Beziehung ein anderes Kaliber als Karl-Theodor zu Guttenberg. Aber es läuft im Moment nicht so gut für den Minister.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Was?)

Wenn ich mir das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit anschaue, stelle ich fest: Es wachsen die Irritationen und die Kritik.

(Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Der beliebteste Minister!)

Der Satz mit den Worten „Gier nach Anerkennung“ hat viele Soldaten vor den Kopf gestoßen. So sollten Sie als oberster Dienstherr nicht über Ihre Untergebenen reden, Herr Minister.

(Beifall bei der SPD und dem BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Ihre Debatte um den Veteranentag hatte etwas sehr Künstliches. Gut, dass Sie hier keine allzu hohen Erwartungen mehr wecken. Der seltsame Hubschrauber-EADS-Deal und das Euro-Hawk-Debakel zeugen nicht von hoher Regierungskunst. In der Kampfdrohnenfrage haben Sie sich offenbar erst von den eigenen Leuten wieder auf den Boden der Realität holen lassen. Nichts überstürzen; es gibt heute keine Fähigkeitslücke. Und dass alle Waffen ethisch neutral seien, haben Sie natürlich nicht ernst gemeint. Das können Sie nicht ernst gemeint haben, Herr Minister.

Die Bundeswehr hat heute im Einsatz und in der Reform schwierige Zeiten zu bestehen. Es ist nicht die Aussicht auf geniale neue Strukturen, die gegenwärtig sozusagen den Laden am Laufen hält, sondern es sind die Soldatinnen und Soldaten und die Zivilbeschäftigten, die nicht Dienst nach Vorschrift machen, sondern kameradschaftlich und kollegial das Chaos meistern und dem täglichen Wahnsinn trotzen, weil sie ihren Dienst und die ihnen anvertraute Aufgabe mögen. Sie tun oft sehr viel mehr als ihre Pflicht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

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Links

BT-Plenarprotokoll (S. 35-37)