Der Staat sollte sich per Gesetz zur Sparsamkeit zwingen

Beitrag von Hans-Peter Bartels, MdB und Joachim Lohmann in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 16. September 1999

Sparen, wer wollte das nicht! Aber was bedeutet dieser schöne Vorsatz? Geld zurücklegen für spätere Anschaffungen? Oder jedenfalls: Nicht mehr Geld ausgeben, als man hat? Wenigstens: Keine neue Schulden mehr machen und schrittweise die alten zurückzahlen? Äußerstenfalls: Weniger neue Schulden als im Vorjahr zu machen?

Der Staat „spart“ nicht. Bund, Länder und Kommunen haben derzeit 2,3 Billionen Mark zurückzuzahlen, davon der Bund allein 1,5 Billionen Mark. Die Verschuldung des Bundes ist von 1997 auf 1998 um 55 Milliarden gestiegen. Für 1999 sind 53,5 Milliarden beschlossen, für 2000 49,5 Milliarden geplant. Von 1982 bis 1998 hat sich der Schuldenstand des Bundes nahezu verfünffacht, nicht zuletzt wegen der zusätzlichen Lasten der deutschen Vereinigung.

Alle Parteien sind sich einig, dass es „so“ nicht weitergehen kann. 1982 betrug der Anteil der Steuereinnahmen des Bundes, der allein für Zinszahlungen aufgewendet werden muss, die so genannte Zinssteuerquote, 12 Prozent, heute sind es 22 Prozent. Das sind gut 80 Milliarden Mark jährlich. Diese Tendenz, auch das sagen alle, ist zutiefst unsozial, weil sie die Möglichkeiten der kommenden Generationen beschneidet und weil auf diese Weise heute Steuermittel der Allgemeinheit ausgerechnet an die Vermögenden umverteilt werden.

Amerika hat es vorgemacht und den Haushalt ausgeglichen

Schulden sind laut Verfassung in Höhe der Investitionen zulässig; diese Grenze wird beim Bund und in vielen Ländern weitgehend ausgeschöpft. Gerechtfertigt wird eine solche Verschuldung damit, dass Investitionen der künftigen Generation zugute kommen und daher auch diese den Schuldendienst tragen können. Im öffentlichen Bereich gelten aber selbst Kleinbeträge und Ersatzanschaffungen als Investitionen, ohne dass Abschreibungen gegengerechnet werden, sodass die künftigen Generationen davon nicht profitieren. Ebenso werden Subventionen als Investitionen gewertet, auch wenn sie nicht selten den notwendigen Wandel gerade verzögern.

Der Verzicht auf weitere Neuverschuldung ist unabweisbar, aber nur äußerst schwer erreichbar. Wenn es einfach wäre, hätten wir nicht jedes Jahr aufs Neue die Blut-, Schweiß- und Tränen-Dramaturgie der „Spar“ -Operationen am Haushalt, oft nur um überhaupt die Verfassungsgrenze einzuhalten. Es ist ein weiterer Einschnitt in der Größenordnung der jetzigen Sparoperation von Finanzminister Eichel erforderlich, um endlich den Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung auszugleichen. Das ist in dieser Legislaturperiode nicht zu schaffen. Aber einen solchen entscheidenden Schritt wird die Politik aus freien Stücken auch in der nächsten Wahlperiode kaum gehen; sie muss gezwungen sein, muss sich zwingen.

Deshalb: Warum machen wir es nicht den Amerikanern nach? Dort setzte die Kongressmehrheit, zunächst gegen den Willen des demokratischen Präsidenten, Programme zur Haushaltssanierung durch. Per Gesetz wurden in allen Bereichen mit Ausnahme der sozialen Sicherung, des Bildungssektors und der staatlichen Krankenhilfe Kürzungen vorgenommen sowie eine pay as you go-Klausel eingeführt, die für jede diskretionäre Ausgabensteigerung den Nachweis der Gegenfinanzierung bei gleichzeitigem Verbot von Neuverschuldung vorsieht. Heute steht Bill Clinton an der Spitze der Bewegung. Der amerikanische Haushalt ist, früher als ursprünglich geplant, im Plus, der Präsident auch. Einige Kommunen in Deutschland gehen schon den gleichen Weg.

Aber brauchen wir nicht eine bewusste staatliche Verschuldung dann, wenn die Nachfrage der Wirtschaft und des Verbrauchers zusammenbricht, also bei einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes? Genau dieses Instrument stünde uns jetzt zur Verfügung, aber wegen des einmalig hohen Schuldenstandes würde kaum ein Politiker wagen, es einzusetzen. Der öffentliche Haushalt verhält sich deshalb nicht mehr antizyklisch, sondern fast schon prozyklisch. Erst ein gesetzliches Verbot der Neuverschuldung würde uns dann bei einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes wieder konjunkturpolitisch handlungsfähig machen.

In ihrem Ruck-Programm „Deutschland erneuern“ hat die Bundesregierung angekündigt, dass sie „mittelfristig“ einen Haushalt ohne Neuverschuldung anstrebe. Sie schränkt allerdings ein, nur „wenn sich alle dieser Verantwortung stellen“, gebe es eine „gute Chance, einen ausgeglichenen Haushalt schon in der nächsten Legislaturperiode zu erreichen“ . Dem Verantwortungsgefühl „aller“ könnte es nachhelfen, noch in dieser Legislaturperiode jenes neuartige Bundesgesetz zu beschließen, das ab einem Stichtag X vielleicht dem 1.1.2006, neue Schulden ausschließt.