Beitrag von Hans-Peter Bartels in der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 18. Januar 2007

Das gängige Vorurteil lautet: Die Bürger interessieren sich durchaus für Politik, sie mögen nur Politiker nicht. Wie wäre es mit der Gegenthese: Die meisten Deutschen mögen ihre Politiker, aber sie mögen die Politik nicht.

Nach dem letzten ARD-Deutschlandtrend sind 61 Prozent der Befragten zufrieden oder sehr zufrieden mit der Arbeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die wichtigsten Bundesminister kommen auf Werte zwischen 41 und 51 Prozent. Das ist eigentlich ganz gut. Wenn allerdings die Zufriedenheit mit der Bundesregierung im Ganzen abgefragt wird, gibt es Prügel: Drei Viertel sind weniger oder gar nicht zufrieden. Minister gut, Regierung schlecht – seltsam.

Sobald es allgemein wird, in Versammlungen, in Leserbriefen und auch in den Kommentarspalten mancher Zeitungen, wird die Kritik schablonenhaft: hier der Wähler, der Bürger, das Volk mit seinem klaren einheitlichen Volkswillen – dort die unverständige, dummdreistePolitik, mediokre, sich bereichernde Politiker, machtgierige Parteien!

Jenseits der dröhnenden Kollektivsingulare ist unser Volk tatsächlich aber bunt und sehr verschieden, und diesem Pluralismus folgt die Organisation unserer parlamentarischen Demokratie. Auch gegenüber der Demokratie jedoch gibt es erhebliche Vorbehalte: Im November beunruhigte eine Infratest-Umfrage die Öffentlichkeit, nach der 51 Prozent nicht zufrieden sind mit der Art und Weise, wie die Demokratie in der Bundesrepublik funktioniert.

Wie funktioniert sie denn?, hatte vor Jahren der Politologe Werner Patzelt schon einmal akribisch zurückgefragt; sein Fazit ( ZEIT Nr. 9/01) ist überschrieben mit dem Satz Verdrossen sind die Ahnungslosen. Was er in seiner Befragung über Gewaltenteilung und Föderalismus, Bundestag und Bundesrat, Fraktionen, Regierung und Opposition zu hören bekam, ist so erschütternd wie die vorschnelle Medienzuspitzung, die Mehrheit der Deutschen sei gegen die Demokratie. Beispiel: Zwei Drittel der Deutschen meinen, Aufgabe der Opposition sei es, der Regierung zu helfen.

Demokratie, lautet die Lehre, vererbt sich nicht. Sie muss von jeder Generation neu gewonnen werden. Deshalb brauchen wir eine Institution, die sich dieser Aufgabe annimmt, eine Art positiven Verfassungsschutz: ein Zentrum oder Institut für die Didaktik der Demokratie. Hier könnten Methoden und Grundsätze für die Vermittlung des demokratischen Grundwissens in Schulen, Kindergärten und Medien erarbeitet und weitergegeben werden. Ansetzen müsste diese Didaktik wohl bei den populären Vorurteilen, den Stereotypen und Klischees, die gegenwärtig im Umlauf sind.

Selbst wenn die Bürger, die heute dazu gewählt sind, als Politiker die demokratischen Institutionen auszufüllen, alle nichts taugen sollten – sie könnten doch nur durch andere Bürger ersetzt werden, die sich in den Parteien, mit ihren Parteien oder auch mit neu gegründeten Parteien zur Wahl stellen. Von Plato ist der Satz überliefert, dass diejenigen, die zu klug sind, sich in der Politik zu engagieren, dadurch bestraft werden, dass sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selbst. Wer kann das wollen?