Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 29. März 2006

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 2006 ist der erste Haushalt, den die große Koalition vorlegt. Der Verteidigungsetat ordnet sich dabei in ein Gesamtkonzept ein. Wir haben eine schwierige Gratwanderung vor uns: auf der einen Seite einen klaren Konsolidierungskurs, auf der anderen Seite die notwendigen Investitionen. Diese Gratwanderung betrifft alle Ressorts. Der Verteidigungshaushalt bildet keine Ausnahme.

Dass nicht alles Wünschenswerte finanzierbar ist, wissen wir. Wir leben schon eine ganze Weile damit, dass die haushaltspolitischen Spielräume begrenzt sind. Das ist gewissermaßen die Konstante der vergangenen Jahre, ganz unabhängig davon, wer regierte. Der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe zum Beispiel hat 1997 in der Haushaltsdebatte einen schönen Sinnspruch geprägt. Er sagte:

Welche Größenordnung eine Armee auch immer hat, sie wird knapp bei Kasse sein, und … in einem gewissen Umfang ist es auch notwendig. Ich kenne keine Armee auf der ganzen Welt, die finanziell üppig versorgt wäre.

Ein anderer Minister, mein jetziger Fraktionsvorsitzender Peter Struck, formulierte seine Einsicht in die Notwendigkeit in der Debatte zum Bundeshaushalt 2004 so:

Auch ich hätte natürlich gerne mehr Geld; aber jeder von Ihnen weiß, dass wir in einer bestimmten Finanzsituation sind.

Eine „bestimmte Finanzsituation“ – so ist das auch heute.

Doch diskutieren wir hier nicht über einen aus der blanken Not geborenen Sparhaushalt. Was uns vorliegt, ist eine gute Grundlage, die Transformation der Bundeswehr konsequent weiterzuführen. Der Haushalt 2006 ist ein Dokument der Transformation. Transformation heißt, Strukturen, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte den geänderten Erfordernissen anzupassen, damit wir auch künftig ein verlässlicher Partner unserer Freunde und Verbündeten bleiben, in Europa, in der NATO und in den Vereinten Nationen.

In diesem Jahr stehen knapp 24 Milliarden Euro zur Verfügung. Bis 2009 – das sieht der Finanzplan des Bundes vor – soll der Etat dann um rund 1 Milliarde Euro steigen. Das ist gut, aber das ist auch unbedingt notwendig. Wichtiger vielleicht noch als die absoluten Zahlen sind die Verschiebungen innerhalb des Verteidigungshaushaltes. Klar erkennbar ist die Tendenz, dass die Betriebskosten sinken, die verteidigungsinvestiven Ausgaben aber steigen werden. Diese Entwicklung ist nicht zufällig. Sie ist das Resultat einer Politik, die von zwei sozialdemokratischen Verteidigungsministern entschlossen eingeleitet wurde. Weil dieser eingeschlagene Kurs richtig ist, hält auch die neue Regierung an ihm fest.

(Beifall bei der SPD)

Ein Ziel der Transformation ist es, die vorhandenen Finanzmittel besser und effektiver einzusetzen, um die erforderlichen Ausrüstungsinvestitionen vornehmen zu können. Das Stationierungskonzept, die Korrekturen bei der Rüstungsplanung, die erweiterte Kooperation mit der Wirtschaft – dies alles gehört zu einer Politik, die zunächst einmal vieles auf den Prüfstand gestellt hat, von fliegenden Verbänden bis zum Gebäudemanagement. Dabei stellte sich heraus: Nicht alles, was schon immer so war, muss genau so bleiben. Es stellte sich aber auch heraus, Frau Hoff: Nicht alles, was privat gemacht wird, ist am Ende billiger und besser.

Die Transformation ist inzwischen an vielen Orten mit Händen zu greifen. Als Abgeordneter aus der Marinestadt Kiel weiß ich, wie zügig und zielgerichtet etwa die Aufstellung der neuen Einsatzflottille 1 vor sich geht. Was vor kurzem noch Planung war, hat heute schon Adresse, Namen und Gesichter.

In diesem Zusammenhang verdient das Engagement der Soldatinnen und Soldaten und der Zivilangestellten hohe Anerkennung. Für sie bedeutet Transformation vielfach, neue Aufgaben an neuen Orten mit neuen Kollegen und Kameraden zu übernehmen. Hinzu kommen Veränderungen im persönlichen Umfeld, wenn Standorte geschlossen und Dienstposten verlegt werden. Es sind gerade die gestandenen Soldaten und die erfahrenen Zivilangehörigen, die wir vom Sinn und Nutzen der neuen Bundeswehr überzeugen müssen. Das gelingt umso besser, je mehr die neuen Strukturen sichtbar mit Leben erfüllt werden. Bei aller Veränderung: Die Bundeswehr ist nicht auf der Suche nach neuen Aufgaben. Sie soll nicht zur Ersatzpolizei werden. Das ist – trotz aller richtigen zivilmilitärischen Zusammenarbeit – nicht ihre Aufgabe.

Zur Transformation, die man erleben kann: Mit meinem Kollegen Sönke Rix war ich vor ein paar Wochen – noch bei Schnee und Eis – in seinem Wahlkreis Rendsburg- Eckernförde unterwegs; das hätte auch anderswo in Deutschland sein können. Wir waren beispielsweise in Hohn. Da bereitet sich das Lufttransportgeschwader 63 auf die Aufnahme des A400M vor. 100 bis 140 Millionen Euro werden hier in den nächsten Jahren in eine neue Infrastruktur investiert. Wir waren bei der U-Flottille in Eckernförde. Zwei neue Brennstoffzellen- U-Boote sind in Dienst gestellt, zwei sind in der Erprobung, zwei weitere gehen dieses Jahr unter Vertrag. Neu aufgestellt sind dort die Marinesicherungskräfte und die Spezialkräfte der Marine. Alles ist in neuer Organisation und zum Teil mit neuem Gerät.

Transformation bedeutet eben auch neue Ausrüstung für die neuen Aufgaben. Ich nenne als Stichworte „Hubschrauber NH 90“ – dieses Projekt wird allmählich konkret – oder auch die im vergangenen Jahr getroffene, wichtige Entscheidung, dass wir bei MEADS mitmachen. Eurofighter läuft, Tiger läuft, Puma läuft an. Diese Projekte wären – da dürfen wir uns keine Illusionen machen – nicht finanzierbar, wenn wir nicht einen Kurs des tiefgreifenden Umbaus der Streitkräfte eingeleitet hätten, der auch vieles Gewohnte infrage stellt. Allein die Kategorisierung in Eingreif-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte war ein Befreiungsschlag. Dem Generalinspekteur sei Dank.

Man kann in diesen Tagen nicht über die Bundeswehr reden, ohne etwas zum Kongo zu reden. Es wird bisweilen so getan, als ginge uns der Kongo – das so genannte Herz der Finsternis, dunkel und weit weg – nichts an. Wenn wir als Deutsche und Europäer aber glaubwürdig bleiben wollen, wenn es mehr als Konferenzrhetorik sein soll, dass wir stabile Staaten, Demokratie und Menschenrechte für die Menschen in Afrika fordern, dann kann und darf es uns nicht egal sein, wie es im wichtigsten Land Zentralafrikas weitergeht. „Europa muss … bereit sein“ – so steht es in der EU-Sicherheitsstrategie –, „Verantwortung für die globale Sicherheit und für eine bessere Welt mitzutragen“. Diesem Anspruch sollten wir gerecht werden.

Die UNO hat uns, die Europäer, darum gebeten, im Kongo die Friedensbemühungen auch mit einer militärischen Komponente zu unterstützen. Wir haben kein Interesse daran, dass im Kongo irgendwann Verhältnisse herrschen wie früher oder wie heute noch in Somalia, wo es keine funktionierenden staatlichen Strukturen mehr gibt, wo auf den Straßen das Recht des – häufig schwerbewaffneten – Stärkeren gilt. Das geht uns an. Wir wollen keine Failing States.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundeskanzlerin hat in der Debatte heute Morgen zu Recht gesagt: Wir können für Afrika mehr tun, als nur traurig gucken.

Wir haben den Kongo auch nicht plötzlich entdeckt. Vielmehr engagieren sich die Vereinten Nationen und wir uns dort schon länger. Wir haben einen Prozess unterstützt, der Rückhalt im Land hat. Der Weg des Kongos zu mehr Stabilität kann nur mit den bisherigen Konfliktparteien beschritten werden. Es geht eben nicht darum, Rebellenarmeen niederzukämpfen oder das ganze große Land zu besetzen. Deshalb können 1 500 Soldaten sehr wohl ausreichen. Das wäre eine kleine Mission, die durchaus einen größeren psychologischen Effekt haben kann, zumal sie zivile europäische Anstrengungen flankiert: die Hilfe bei der Ausbildung einer neuen Polizei, die Vorbereitung der Wahlen, die UNO-Soldaten der MONUC in den alten Bürgerkriegsprovinzen, die internationalen Wahlbeobachter, darunter 200 Deutsche.

Es bedarf nicht notwendigerweise Tausender von Soldaten, um erfolgreich zu sein. Erinnern wir uns daran, dass es in Mazedonien vor einigen Jahren gelungen ist, mit einem sehr begrenzten Einsatz multinationaler Streitkräfte – 400 Soldaten insgesamt – die friedliche Entwaffnung der Milizen abzusichern und das Abrutschen in einen Bürgerkrieg zu verhindern! Das psychologische Signal war wichtiger als die Zahl der eingesetzten Soldaten.

Manche Bedenken, die gegen ein Kongomandat geäußert werden, könnten übrigens genauso gegen den Einsatz in Afghanistanvorgebracht werden. Auch das Land ist weit weg und uns eher fremd. Nur wenige Soldaten sprechen Paschtu. Auch dort gäbe es keine Aussicht auf Frieden und Entwicklung, wenn nicht eine große Mehrheit der Bevölkerung und der ehemaligen Kontrahenten diesen Kurs prinzipiell für richtig hielte. Wir unterstützen Afghanistan mit beträchtlichen Mitteln, weil in unserem Interesse nicht Chaos, sondern Ordnung, nicht Gewalt, sondern ein demokratischer Anfang liegen. Da ist noch viel zu tun.

Die Diskussion um das mögliche Kongomandat lehrt uns schon jetzt, dass wir auch noch einmal über das Konzept der EU-Battle-Groups und der NATOResponse- Force nachdenken sollten. Ob dieseschnellen Eingreiftruppen in ihrer bisherigen Form den praktischen Anforderungen von internationalen Einsätzen gerecht werden, ist, meine ich, zweifelhaft. Wir sollten genau beobachten, ob sich das Rotationsverfahren, an dem auch Finanzierungsfragen hängen, in der Praxis bewährt. Der NATO-Hilfseinsatz nach dem Erdbeben in Pakistan ist so ein praktisches Beispiel dafür, dass die Hilfe am Ende funktioniert hat, nicht aber der NRF-Mechanismus.

Es entspricht dem konzeptionellen Ansatz der Transformation, dass wir unsere Pläne und Konzepte ständig auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Das sollte auch auf der Ebene von EU und NATO gelten.

Um in der Diskussion mit unseren Verbündeten Gehör zu finden, müssen wir in der Lage sein, mit der Bundeswehr einen ernsthaften eigenen Beitrag zu gemeinsamen Anstrengungen zu leisten. Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf schaffen wir eine verlässliche Grundlage für die weitere Entwicklung der Bundeswehr.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

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